Mittwoch, 20. September 2017

Meine alten Damen.

Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Pervers bin ich nicht, aber, ist es "normal", eine lebenslange Schwäche für alte Damen zu haben? Ich rede jetzt nicht über meine Großmütter, die ich verehrte und von denen in meinem 3-4jährigen Leben als Knabe, die eine wütend ausrief: "Dieser Hitler ist ein Teufel". Das hat mir die Augen geöffnet, obwohl niemand in meiner kindlichen Umgebung irgendetwas Positives über dieses braune Gesockse geäußert hätte. Ich wusste schon früh, dass Nazi und Co. übel war, hatte aber nichts damit zu tun. Meine Omas (und auch der einzige Opa, den ich hatte), waren politisch gesehen, astrein.


Auch im Rückblick überkommt mich keine Scham, wenn ich an meine intensiven Freundschaften zu alten Damen denke. Mit Sex hatte das nichts zu tun, doch die Schönheit eines freundlichen alten  Gesichts hat mich von klein auf schon fasziniert. Tante Johanna muss ein Sonderfall gewesen sein. Wenn wir uns begegneten, was nicht oft geschah, rastete sie aus. Sie knuddelte mich, steckte mir sofort Bonbons in die Taschen und himmelte mich an. Sie war unverheiratet und wurde von einem Bus überfahren, bevor ich in eine tiefere Beziehung zu ihr treten konnte. Auch das gibt es im Leben.

Eine andere ältere Dame, war die Tante eines Mädchens, dessen Eltern nicht mehr lebten und das von ihr, einer etwas autoritären Lehrerin, aufgezogen wurde. Die kleine Louise und ich waren gute Freunde, doch mit der Tante führte ich geistig hochstehende Gespräche, und ich stellte nach Jahren fest, dass ich wieder einmal mit einer älteren, und unverheirateten älteren Dame freundschaftlich verbunden war. Junge Mädchen meiner Altersklasse gab es natürlich auch. Sie machten mich erröten, und ich fühlte mich verpflichtet, mich in sie zu verlieben, was oft mühsam und mit Hänseleien verbunden war.

Harold and Maude, Film von Hal Ashby. 
Erst als der Film "Harold und Maude" (1971) herauskam, verstand ich mich besser. Harold ist um die 20, Maude eine fast 80jährige ältere Frau. Beide geraten in ein Verhältnis, das auch vor Sex, Motorradabenteuern und leidenschaftlichen Küssen nicht halt macht. Harold lebt bei seiner tyrannischen Mutter, und hat eine makabre Veranlagung: Er liebt Bestattungswagen, täuscht Selbstmordversuche vor und lernt auf einem Friedhof Maude kennen, in die er sich verliebt. Eine wilde Zeit beginnt, die mit einer Heirat enden soll. Maude beschließt jedoch, zu sterben, während Harold gereift aus dieser Beziehung hervorgeht. Für mich war Maude die Addition von Sandkastengespielin, Jugendschwarm, Partnerin und Mutter. Eine Schwarze Komödie? Warum nicht?

Meine Jugendliebe, bevor es dann ernst wurde mit Familie und so, war Liese L. Wir hielten zusammen, bis sie in einem Altersheim verlassen starb. Sie kam als DDR-Flüchtling nach dem Westen und lebte bei einem wohlhabenden Vetter und dessen Frau. Mann und Sohn hatte sie im Krieg verloren. Ihr Haus in Erfurt wurde ihr genommen, ihre westliche Freundin war meine Tante. Wir sahen uns regelmäßig, denn sonntags lud sie mich zum Frühstück ein, was für mich eine zweite Mahlzeit bedeutete, denn ich hatte schon mit meinen Eltern gefrühstückt. Ich liebte die Gespräche mit ihr, und ich hörte auch gerne zu, wenn sie von ihren "Männern" erzählte. Ich bemerkte bald, dass ich sie an ihren gefallenen Sohn erinnerte. Sie verwöhnte mich mit kleinen Geschenken, Lederhandschuhen, Krawatten, Socken und Einstecktüchern.

Statt Rosen. 
Die Zeit meines Studiums brachte mich in eine andere Stadt. Wir sahen uns seltener, trafen uns aber bei jedem Besuch bei den Eltern. Dann kam sie in ein Altersheim, das wir beide hassten. Ich hatte sie nur 2-3mal dort besucht. Dann starb sie. Ich musste zur Beerdigung aus Frankreich anreisen und kam wegen eines Staus auf der Autobahn eine Stunde zu spät. Meinen Rosenstrauß legte ich an ihrem Grab nieder. Als ich nach dem üblichen Kaffee-und-Kuchen mit einigen wenigen Freunden nocheinmal durch den Friedhof schlenderte um das Grab zu sehen, bemerkte ich, dass jemand die Blumen gestohlen hatte.

Gerne denke ich an die Zeit mit Liese zurück. Sie hatte mir nach Jahren das "Du" angeboten. Ich habe als junger Mensch viel von ihr gelernt. Schmerz überkommt mich immer noch, wenn ich an ihr Schicksal denke. Mann, Sohn und Heimat verloren. Einsam in einem unwürdigen Heim gestorben, und ich lebte und arbeitete im Ausland und hatte mich viel zu weit von ihr entfernt. Harold und Maude, das geht selten gut aus, doch eine Freundschaft zwischen einer älteren Dame und einem jungen Mann kann etwas unheimlich Schönes sein.










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