Montag, 31. Juli 2017

Kann mir jemand sagen, wer ich bin?

Ich lebe im Yorkshire Moor. Da regnet es viel. Seit Tagen habe ich mich nicht ins Freie getraut. Auch jetzt sieht der Himmel bedrohlich aus. Graue Wolkenfetzen streiten sich mit schwarzen Wolkenelefanten, die winzige Stücke blauen Himmels an sich reißen. Gleich wird es wieder regnen. Eine entsprechende Kleidung habe ich willentlich nicht angelegt, als ich das Haus verließ, um die Anhöhe hinauf zu gehen und mich in Gedanken zu verlieren.


Gewiss habe ich genügend Jahre auf dem Buckel, um zu wissen,  wer ich bin. Die Frage ist doch: bin ich zu dem geworden, der ich sein wollte? Als kleiner Junge: ein Brückenbauer.  Einen Führer hatten wir schon, den meine Oma als einen Teufel bezeichnete. Meine Oma war eine meiner Richtschnüre im Leben: nicht lügen, nicht stehlen, keine Gewalt, und immer fromm. Das Letztere habe ich mir früh  als etwas Nutzloses abgewöhnt. Geprügelt habe ich mich öfter, doch nur einmal habe ich zuerst zugeschlagen. Das war notwendig und für meine Selbstachtung wichtig.


Ich beobachte misstrauisch den Himmel. Es geht leicht bergauf. Wettererfahrene Mitmenschen scheint es heute nicht zu geben. Schwer erkennbar kommt mir doch jemand entgegen. Eine dunkle Gestalt, die sich als junges Mädchen herausstellt. Gerne weiche ich aus, denn der Pfad ist eng. Lächelnd bedankt sie sich. Ich bin meinen Gedanken wieder ausgesetzt. Was tu ich, wenn es plötzlich regnet? Ich lenke mich ab und prüfe den Stand der Wolken. Ich sehe schwarz. Es wird nicht mehr lange dauern bis ich wieder einmal völlig durchnässt sein werde.



In der Pubertät musste ich kaum leiden. Meine Umwelt (Vater, Mutter Großeltern) war mir wohl gesonnen. Papa sprach zu mir wie zu einem Freund, wenn ich meine jugendliche Empörung über das Schlechte in der Welt wütend zum Ausdruck brachte. Das Gefühl, ein wertloser Dummkopf zu sein, hatte ich nicht. Als ich zum erstenmal wegen eines Mädchens einen roten Kopf bekam, wusste ich noch nichts über das Schwulsein, was mir immer fremd aber nicht feindlich war. Klar, Mädchen waren meine Sache. Von Sex verstand ich nichts. Doch ich wollte ein guter Junge sein. Und beim anderen Geschlecht schrillten meine Alarmglocken. Wenn sich eine Schöne meiner Pickelexistenz erbarmte, war ich glücklich. Glücklich machen war mir jedoch wichtiger als der pure Sex. Deshalb hätte ich auch nie jemand betatschen können, ohne eine lächelnde Zustimmung zu erhalten.


Zu dieser Zeit muss ich den Humor entdeckt haben, der mir im Umgang mit den Frauen, aber auch Männern, eine stetige Anregung war. Der Mensch fühlt sich total anders an, wenn er herzlich lachen kann. Nur einmal geschah es, dass ich ausgelacht wurde. Sie kam aus Hamburg, studierte Psychologie. Sie hatte sich mir angenähert, um ihre Studien an mir zu absolvieren. Dann merkte ich, dass ich verlacht wurde. Das war mir zuviel.


Ich kehre um, denn der Himmel ist schwarz. Der Wind bläst kalt. Noch 20 Minuten habe ich zu gehen bis zur Haustür. Werde ich rennen müssen? Doch das Yorkshire Wetter hält eine Wende bereit. Blitzschnell verschwanden die Wolken auf die Seite, in die der Wind blies. Ich glaube man nennt es luv. Oder ist die dem Wind abgekehrte Seite, das Lee? Es geht bergab. Ich denke an meine Gedanken. Die Jahre haben mich reifen lassen, doch der Reifeprozess ist nicht abgeschlossen. Ich werde an mir weiterarbeiten müssen, bis ich zufrieden bin. Vielleicht gelingt mir das. Jetzt trifft mich ein Sonnenstrahl.










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