Die Nachrichten sind nicht schlecht. Das Ozonloch soll kleiner geworden sein. Boris Johnson, der ehemalige OB von London und Hauptanzettler des EU-Ausstiegs, wird gerade brexikutiert. Man hält ihn nun endgültig für einen Schaumschläger, Verräter und Feigling, nachdem er aus dem verzweifelten Rennen um die Premierministerschaft seines Vaterlandes ausgestiegen ist. Auch die Prostitution hat in der Stadt an der Themse nur geringfügig zugenommen, und Boris muss einen Realitätsanfall, was seine weitere Laufbahn betrifft, gehabt haben.
Seit Henry Mayhew 1861/62 sein aufsichtserregendes Buch über die Prostitution in London veröffentlichte, weiß jeder Bescheid: London ist aufgeteilt in ehrbare und lasterhafte Frauen, die dort ihr "lucrative buziness" betreiben. Ballettmädchen, Diebinnen, feine und ganz unfeine Ladies geben sich da die Tür in die Hand. War nicht auch Bert Brecht mit seiner Dreigroschenoper in diese Lasterhaftigkeit verwickelt? Die Threepenny Opera wird gerade in London gezeigt. In einer total überarbeiteten Version, von der noch gesprochen wird. "The London Labour and the London Poor" nannte Henry Mayhew seine Studie, bei der das Tun von 72 Jungfrauen im Terroristenparadies des IS noch keine Rolle spielte. Andererseits könnte jetzt durch die hohe Beanspruchung durch die islamischen Mord-Märtyrer die Zahl der zur Verfügung stehenden Himmlischen Jungfrauen erheblich zurückgegangen sein, was den Anreiz für die von Testosteron strotzenden Bombenleger sichtlich verringern müsste. Das Problem mit der Prostitution in London scheint aber eher zu sein, dass der Import von Mädchen aus fremden Ländern eine neue Berufsgruppe hervorbringt: Dolmetscherinnen, die am Telefon die Vermittlung übernehmen, denn der weibliche Import spricht meist kein Englisch. London ist und bleibt also ein Sündenbabel.
London zittert jedoch aus anderen Gründen. Der Finanzplatz London ist durch den Brexit infrage gestellt. London hatte vorausahnend mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt. Jetzt drohen lukrative Deals zu platzen. Deshalb fand am Sonntag eine spontane Demo statt, hautsächlich mit Jugendlichen, die landesweit mehrheitlich in der EU bleiben wollten. Tausende zogen an der Downing Street und am Parlament vorbei und bekannten sich laut zu Europa. Cath und ich liefen natürlich mit.
Ein seltsames Zusammentreffen zwischen dem scheinheiligen Referendum mit seiner moralischen Entrüstung über das korrupte Europa und der sensationellen Neugestaltung eines aufrüttelnden Stückes aus den Zwanzigerjahren, Brechts Dreigroschenoper. Die Jahre nach dem 1. Weltkrieg waren schwer. Der Versailler Vertrag stürzte das hungrige Deutschland in die Inflation. Geld war nichts mehr wert. Im Berliner Schloßtheater wurden 1919 die Eintrittspreise so angegeben: billigster Platz: 2 Eier, teuerster Platz: 1 Pfund Butter. Das Leben brodelte, Berlin war eine der größten und interessantesten Städte der Welt. Armut und Reichtum lebten nebeneinander. Bert Brecht kam mit seiner Dreigroschenoper 1928 gerade recht. Eine Adaptation von John Gays "The Beggars Opera", übersetzt von Elisabeth Hauptmann. Musik von Kurt Weill. Was soll man dazu sagen?
Die Londoner Inszenierung im Nationaltheater war eine neue Version des alten Themas: Verbrechen, Prostitution, Liebe, Sex, Erniedrigung, Macht, Gier und Lüge. Und die moralische Entrüstung darüber. Brechts großer Beitrag zum modernen Theater war die Verfremdung, die alles ironisiert, entrückt und harte Wirklichkeit irreal erscheinen lässt. Die Londoner Version hat die Brechtoper den modernen Zeiten angepasst, ohne Brechts Sehweise zu verfälschen. Auch heute hat der Haifisch Zähne. Und die Dreigroschenoper von Bert Brecht und Kurt Weill ist immer noch Welttheater. Eine unglaublich fulminante und aufwühlende Aufführung.
Wer von London immer noch den legendären Nebel erwartet, liegt falsch. Wir hatten herrliches Wetter, was unsere Londoner Freunde kaum interessierte. In der U-Bahn ist es trocken, und am Himmel tut sich meist etwas.
Weg vom Fenster, für immer! |
London zittert jedoch aus anderen Gründen. Der Finanzplatz London ist durch den Brexit infrage gestellt. London hatte vorausahnend mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt. Jetzt drohen lukrative Deals zu platzen. Deshalb fand am Sonntag eine spontane Demo statt, hautsächlich mit Jugendlichen, die landesweit mehrheitlich in der EU bleiben wollten. Tausende zogen an der Downing Street und am Parlament vorbei und bekannten sich laut zu Europa. Cath und ich liefen natürlich mit.
Ein seltsames Zusammentreffen zwischen dem scheinheiligen Referendum mit seiner moralischen Entrüstung über das korrupte Europa und der sensationellen Neugestaltung eines aufrüttelnden Stückes aus den Zwanzigerjahren, Brechts Dreigroschenoper. Die Jahre nach dem 1. Weltkrieg waren schwer. Der Versailler Vertrag stürzte das hungrige Deutschland in die Inflation. Geld war nichts mehr wert. Im Berliner Schloßtheater wurden 1919 die Eintrittspreise so angegeben: billigster Platz: 2 Eier, teuerster Platz: 1 Pfund Butter. Das Leben brodelte, Berlin war eine der größten und interessantesten Städte der Welt. Armut und Reichtum lebten nebeneinander. Bert Brecht kam mit seiner Dreigroschenoper 1928 gerade recht. Eine Adaptation von John Gays "The Beggars Opera", übersetzt von Elisabeth Hauptmann. Musik von Kurt Weill. Was soll man dazu sagen?
Die Londoner Inszenierung im Nationaltheater war eine neue Version des alten Themas: Verbrechen, Prostitution, Liebe, Sex, Erniedrigung, Macht, Gier und Lüge. Und die moralische Entrüstung darüber. Brechts großer Beitrag zum modernen Theater war die Verfremdung, die alles ironisiert, entrückt und harte Wirklichkeit irreal erscheinen lässt. Die Londoner Version hat die Brechtoper den modernen Zeiten angepasst, ohne Brechts Sehweise zu verfälschen. Auch heute hat der Haifisch Zähne. Und die Dreigroschenoper von Bert Brecht und Kurt Weill ist immer noch Welttheater. Eine unglaublich fulminante und aufwühlende Aufführung.
Wer von London immer noch den legendären Nebel erwartet, liegt falsch. Wir hatten herrliches Wetter, was unsere Londoner Freunde kaum interessierte. In der U-Bahn ist es trocken, und am Himmel tut sich meist etwas.
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