Montag, 30. Mai 2016

Bradford und sein deutsches Viertel.

Welche Überraschung. Cath und ich melden uns bei einer literarischen Woche an der Universität von Bradford/Yorkshire an und geraten in eine Reihe von Vorträgen. Einer davon befasste sich nicht etwa mit Little Britain (der bekannten Lach-Serie), auch nicht mit Great Britain, sondern mit Little Germany. Das war nicht gemeint als ideologische  Verkleinerung von Groß-Deutschland, sondern als die Beschreibung und Geschichte eines Stadtviertels von Bradford, das den Namen "Little Germany" trägt, "A History of Bradford's Germans".



Susan Duxbury-Neumann hat dieses Buch verfasst, das 2015 erschienen ist und das wir sofort gekauft haben. Die Autorin hielt einen Vortrag darüber. Wir wollten uns das nicht entgehen lassen. Äußerst interessant und lehrreich war das. Wie es dazu kam, dass Deutsche nach Großbritannien zogen und sich an der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert beteiligten. Bradford war damals das Weltzentrum der Wolle verarbeitenden Industrie. Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien bestanden schon lange. Auch der Adel der beiden Länder war eng miteinander verbunden. So schien es normal, dass Tausende deutscher Geschäftsleute auch nach Bradford kamen, sich dort niederließen, produzierten und Handel betrieben. Es entstand ein deutsches Viertel, das man als Little Germany bezeichnete.


Unter den Deutschen waren viele jüdische Familien, aber auch christliche, wie zum Beispiel Fleischer, die Schweinefleisch verarbeiteten und die Bradforder "Wurstkultur" schufen. Namen wie Neumann, Moser, Behrens, Eurich und Delius waren Typisch für die Zuwanderer. Ein Beispiel von vielen: Jacob Moser, dessen Familienname ursprünglich Moses war, wurde sogar Lord Mayor von Bradford. Er war der erste Einwanderer jüdischer Herkunft, der hier Oberbürgermeister wurde. Als sehr erfolgreicher Textilkaufmann betrieb er zusammen mit seinem Partner Victor Edelstein den weltweiten Export von Textilien und unterhielt als überzeugter Zionist auch Verbindungen mit Tel Aviv und Jerusalem, sowie mit seinem Herkunftsort Kappeln in Schleswig-Holstein.


Jacob Moser war auch als Philantrop sehr aktiv, zusammen mit Gleichgesinnten, denn Unternehmer jener Zeit hatten viel Sinn für die weniger erfolgreichen Mitbürger, mit denen sie sich verbunden fühlten. Kapitalismus, Judentum und Deutschtum schienen sich nahtlos mit dem "being British, and being successful" zu vermählen, der später aufkommende Nationalismus und Antisemitismus in Deutschland hatte noch keinen Einfluss auf die Beziehungen der beiden Länder. Mit dem Ersten Weltkrieg änderte sich das, wobei Little Germany in Bradford jedoch nicht zum Feindbild der Briten wurde. Vielleicht war es  die Nachbarschaft der jüdisch-deutschen Kultur, die das verhindern konnte. Allerdings waren Anpassungen nötig. So wurde aus der Metzgerei Johann Schmidt mit seinen Delikatessen plötzlich John Smith. Andere passten ihre Namen ebenfalls an. Allerdings waren die Zeiten für die Deutschstämmigen schwer. Manche mussten im Herkunftsland zum Militärdienst, die im Land Gebliebenen durften kein Telefon und Auto besitzen und die Stadt nicht ohne polizeiliche Genehmigung verlassen. Seit dem allgemeinen Niedergang der Textilindustrie in Bradford geht es auch dem Klein-Deutschland-Viertel wirtschaftlich nicht sehr gut. Dabei gibt es hier immer noch ein großes Potenzial.


Susan Duxbury-Neumann hat so vieles angesprochen, das sowohl bei Briten als auch Deutschen nicht vergessen werden darf. Das friedliche, sehr natürliche Nebeneinander von Minoritäten verschiedener Herkunft, wie wir es heute schon in vielen Ländern kennen. Frederick Delius, der Sohn eines  erfolgreichen Kaufmannes aus Bielefeld, mag ein Beispiel dafür sein, wie die Kulturen sich gegenseitig durchdrangen. Seine Musik ist britisch und sehr europäisch zugleich. So auch die typische Architektur von Little Germany.  





      

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen