Dienstag, 9. Februar 2016

Der Geist aus der Flasche.



Wie nahe man am Trinken ist, dem wahllosen in sich Hineinschütten, weiß man oft nicht. Ich hatte mal eine Frau, die sich Sorgen machte, ich schlittere in den Alkoholismus, denn ich hatte mir angewöhnt, bei der Lektüre nach dem Abendessen mir einen Whisky oder Cognac zu gönnen. Es war immer nur einer. Dennoch: wehret den Anfängen, mag sie gedacht haben, jung verehelicht wie wir waren. Sage du einem jungen Mann, er sei Alkoholiker, auch wenn er im Suff (das kam lächerlich selten vor) zur Gutartigkeit  neigt und nicht daran denkt, ein Messer aus der Küche zu holen. Es geschieht etwas mit dem Säufer, was nicht unbedingt ruhmreich ist. Angeheitert oder cholerisch, man weiß nie, wie es endet.

Das ängstliche Hinterfragen, sie mag ja recht haben, ist der erste Schritt zur ehrlichen Antwort. Dann könnten die guten Vorsätze kommen, und der Stolz, kein Schwächling sein zu wollen. Also will man es genau wissen. Bin ich ein Trinker? Ein Saufbold gar oder haben mich meine Ängste, Probleme, Minderwertigkeitskomplexe in den Suff getrieben? Wer bin ich, fragt man sich als Junger ohnehin, ein Feigling, ein Spießer, ein Angeber, ein Lügner, ein frommes Lamm? Was ist eigentlich so toll daran, ein Glas Whisky in der Hand zu halten? Die träge Seligkeit, die Leichtigkeit, das Abheben vom Alltäglichen, lassen sie dich zur Flasche greifen?

Was ich genauer wissen wollte, wusste ich schon nach einer Woche der totalen Enthaltsamkeit: nein, ich war nicht süchtig. Mir fehlte nichts. Und ich fand Whisky, Cognac und anderes harte Zeug nicht mehr verführerisch. Gelegentlich akzeptierte ich ein Gläschen, aber mein Allgemeinzustand wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Doch die schleichende Trunkenheit kann auch durch mildere Getränke herbeigeführt werden. Bier, aus dem Fass, scheinbar unbegrenzte Mengen, wenn das Wetter trocken und der Durst allgegenwärtig ist. Auch das passierte mir einmal in der guten Gesellschaft von Freunden, die alle nur ein Ziel hatten, herzhaft zu lachen und das Fass leer zu bekommen. Ich wachte dann in einem fremden Bett auf. Vor mir lag ein Salatkopf, ungewaschen, wohl einem Zimmernachbarn gehörend. Ich fraß ihn in meinem Suff, übergab mich anschließend und sehe manchmal noch im Geiste die Spuren des Erbrochenen auf dem Linolboden. Was hatte dieser erste Rausch mit mir gemacht?


Die Folgen bleiben ja unvergesslich: übler Geruch, Kopfschmerzen der widerlichen Art, Unwohlsein bis zum stillen Schwur, nie wieder etwas anzurühren. Bis zum nächsten Mal. Wer will, kann sich dann im Leben immer wieder im Kreise drehen. Aus dem Teufelskreis kommt man am besten nur wieder heraus, wenn man in sich hineinhört und sich nicht beirren lässt. Wenn schon Alkohol, dann einen Tropfen, der gut schmeckt. Das kann sogar Raki oder Gin sein. Doch nicht unbedingt irgend etwas. Den Mut haben, nicht alles zu trinken was vor die Nase kommt. Man isst ja auch nicht wahllos alles. Wählen zu können, ist immer besser als ein Objekt des Zufalls zu werden.


Heute, im hohen Alter, weiß ich, dass ich kein Alkoholiker geworden bin. Die Gefahren waren bei mir besonders groß: oft gab es Einladungen, und ich bewirtete viele Menschen, vor allem Journalisten und Politiker. Mit dem Trinken ist es wie mit allem anderen: man muss ehrlich zu sich sein, sich nichts vormachen. Bin ich ein Lügner, Dieb, blöder Hund oder Säufer?  Wer mit „Ja“ antwortet, hat ein Problem, das er lösen muss. Beim „Nein“ sollte man sich besser nocheinmal gründlich hinterfragen. Was dabei herauskommt, kann als Ansatz zur Besserung gewertet werden.  Es ist schrecklich, wenn man es nicht schafft.

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