Donnerstag, 25. Juni 2015

Im falschen Körper: das tut weh!

Sie stöckelte etwas unsicher ins Café Central, in Wien, ging auf ein älteres Paar zu und begrüßte die beiden herzlich. Sie sah gut aus, wohl um die zwanzig, schlank, war gut geschminkt und trug ihr langes blondes Haar nicht ohne Stolz. Ein Meter achtzig? Sofort erkannte ich den Mann in ihr. Sie spielte sehr anmutig eine Frau. Neugierig starrte ich ihr hinterher. Sie schien glücklich, doch sah man auch erlittenen Schmerz, irgendwie.

Flughafen Wien, alle warten auf den Flug nach Manchester, der einige Stunden Verspätung hat. Man bekommt Orangensaft und hilflose Erklärungen. Die Innentemperatur in der Maschine ist außer Kontrolle. Verärgert und gelangweilt schlängelt man sich durch die Reihen im Abflugbereich. Da sehe ich sie sitzen: um die vierzig, sieht aus wie ein Mann. Unansehnlich, ungepflegt, grobe Hände. Dann, die Beine in Nylonstrümpfen, ein Rock, hängendes Haar. Ich drehe nocheinmal eine Runde, um genauer hinzusehen. Es ist ein Mann im entscheidenden Zustand auf dem Weg zur Frau. Er versucht, nicht aufzufallen. Bereitet er sich auf eine Geschlechtsumwandlung vor? Solche Dinge sieht man heute gelegentlich.

In der Nummer 07 eines neuen deutschsprachigen Magazins für politische Kultur ("Cicero"), den mir Cath aus Bonn mitgebracht hat, fällt mir ein Artikel auf, der die Befindlichkeit einer polnischen transsexuellen Persönlichkeit beschreibt. Emilia Smechowski porträtiert die Politikerin Anna Grodzka. "Nennt mich Anna" heißt der einfühlsame Artikel. Oder: an guten Tagen wird sie ignoriert, an schlechten mit Rauchgranaten beworfen. Eine "Transe" als Parlamentarierin, wie der unwissende Volksmund behauptet. Was dahinter steckt, ist ein 60jähriges Leben eines Mannes, der schon als kleines Kind im Körper einer Frau leben wollte, und erst spät den Mut zum Wandel aufbrachte. Er versuchte zunächst, ein richtiger Mann zu sein, heiratete und bekam einen Sohn. Seine Mutter hatte mal heimlich in einem Buch gelesen, und er fand heraus, dass sie das Kapitel Transsexualität nachgeschlagen hatte. Dort hieß es, die Transsexualität sei eine Abart der Natur, die aber heilbar sei. Auch andere Abarten kamen da vor: Pädophilie, Koprophilie, Nekrophilie und Zoophilie. Die Mutter hat nie mit ihrem Sohn darüber gesprochen. Wie schrecklich muss es sein, zu erfahren, dass man eigentlich abartig ist. Die Journalistin begleitete Anna eine Weile, um zu sehen, wie ein Mensch lebt, der als Kind schon gehänselt wurde, unglücklich heiratete, von der in Polen Ton angebenden katholischen Kirche erfahren musste, dass alle, die nicht heterosexuell lieben, krank sind.


Dann der entscheidende Schritt: ich muss eine Frau werden, denn ich bin ja eine. Geschlechtsumwandlung ist einfach gesagt. Depressionen, Diskrimination, Vereinsamung gehen vor- aus und müssen verkraftet werden. Sexualtherapie ist notwendig, gerichtliche Schritte zur Änderung des Geschlechts. Ein Leidensweg, den die meisten sich nicht vorstellen können.

Brüste ließ er sich in Thailand machen, weil es dort erschwinglicher schien. Die Beinhaare mussten rasiert werden, und vieles musste mit ihm geschehen, damit er sich wie eine Frau fühlen konnte. Nicht ein Mann, der sich als Frau verkleidet, sondern eine Frau, die sich die meiste Zeit ihres Lebens als Mann verkleidet hat. Ein Leidensweg, der keineswegs selbst verschuldet wurde und der die Solidarität und Sympathie herausfordert. Findet das jemand zum Lachen? Wir müssen mitfühlen, auch wenn wir oft nicht ganz verstehen, was da vor sich geht.


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