Mittwoch, 21. Mai 2014

Wiener G'schichten: das Suchtverhalten in der U-Bahn

Alkoholiker, Kettenraucher und DrogenUser haben etwas gemeinsam: die Sucht. Mit der Zeit wirkt sie sich auf das Gesicht und den Geldbeutel aus. Deshalb ist kaum ein Süchtiger dazu zu bewegen, auch noch stolz darauf zu sein. Meist wird geschwiegen, damit niemand etwas merkt. Gut beobachten lässt sich das oft dreifache Suchtverhalten in den U-Bahnen der Welt. Die vielgeliebte Wiener U ist da keine Ausnahme.
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Bevor ich mit meiner Jahreskarte in die U-Bahn steige, greife ich mir noch die täglich neue Postille, die es da gratis gibt, und die über das Geschehen in der Welt, in der Gesellschaft und in der Hauptstadt berichtet. Da gibt es Politik-Insider, einen Society Reporter (Conchita hat gerade das Näschen vorn und Arnie kann seinen Top-Body zeigen), und im politischen Teil erfährt man, dass das Parlament die Austro-Pop-Quote diskutiert. Und die Fuzo in der Mahü ist neu und mit viel Bahö. Als Fremder sollte man hier keine Fragen stellen, denn hier geht es um WIEN Heute.  Dann, widerum, wird auf Livesex hingewiesen, als ob Sex mit Toten eine Alternative wäre. Unter MONEY heißt es volle Power sparen! Unter SPORT erfahren wir von einem Showdown um den Titel. Und das alles all inclusive. Auch der Countdown zur Fête Impériale ist ein Highlight. Ob die Sprache Shakespears süchtig macht? Im Weichbild der Hauptstadt, und vor allem, wo die Touristen zu Tausenden herumeilen, scheint die Sprache Martin Luthers für immer ausgebootet. Sie wird nur noch als Hilfsgequake von Balkanflüchtlingen geradebrecht. Dabei könnte man außer Mahü, Fuzo und Bahö so leicht etwas längere Worte auf Deutsch als Ersatz für Society, Top-Body, Money und Showdown finden. Man muss nur suchen.

 RELIEFPFEILER

Eine Wortfindungskommission könnte vielleicht unter Umgehung bürokratischer Mätzchen Abhilfe schaffen, denn eine übergestülpte Muttersprache ist keine Muttersprache mehr. Andererseits sind die verquasten Meldungen in den Gratisblättern (der "King of Pop" ist auferstanden) eine echte Bereicherung. Also eine Ergänzung zu seriösen Tageszeitungen und zum täglichen Radioprogramm. Man kann das auch mit Humor sehen. Ich greife mir fast jeden Tag in der U-Bahn ein solches Blatt (nicht ohne ein gewisses Schaudern) und frage mich ob auch ich süchtig bin?

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