Die Sache mit dem Mann, der bei uns in der Blutgasse aus dem Fahrstuhl stürmte, als ich nach Hause kam, ging mir seitdem nicht aus dem Kopf. Ich hatte schlecht geschlafen. Eine unbestimmte Unruhe hatte mich gepackt, kaum erklärlich, denn ich bin kein ängstlicher Mensch. Allmählich schwächte sich dieses Gefühl ab, und ich verließ ziehmlich frohen Mutes das Haus. Es sah überall nach Frühling aus. Die Menschen bewegten sich heute schneller. Sie sprachen fröhlich miteinander. In wenigen Minuten war ich wieder am Graben, dem vitalen Zentrum von Wien.
Ich traf Cath um die Mittagszeit, an der Pestsäule, denn wir wollten zusammen essen. Es gibt im Zentrum endlos viele Möglichkeiten. Alle nationalen und internationalen Küchen sind hier vertreten. Noch habe ich etwas Zeit, die ich nutze, zum Judenplatz hinüber zu gehen. Dort, in einer Art Buchhandlung mit Antiquitäten erstehe ich ein silbernes Milchkännchen und ein seltsames Buch, von dem ich nie etwas gehört hatte: "Adolf Hitler mein Jugendfreund" von August Kubizek, zuerst erschienen 1953, jetzt in einer Sonderausgabe des Leopold Stocker Verlages von 2002. Knapp 300 Seiten, die penibel genau belegen, dass auch ein Monster in jungen Jahren ein Idealist sein und eine echte Freundschaft zu einem anderen Jungen haben konnte. Es war, wie immer, meine Neugier, die mich das Buch kaufen ließ. Es ist ehrlich, und es gibt Einsicht in einen jungen Adolf Hitler, von dem wir verständlicherweise eher nichts Gutes wahrnehmen wollen. Vielleicht eine unnötige Übung, die aber etwas zum Thema "Wer war Hitler?" beitragen kann.
Der Judenplatz hat es in sich. Ein klotziges Monument, von der britischen Künstlerin Rachel Whitehead geschaffen, 10 x 7 Meter breit, ist wohl als Hindernis für diesen schönen Platz gedacht. Es versperrt einfach die Sicht. Simon Wiesenthal hatte das schlichte Denkmal angeregt. Wer es betrachtet, wünscht sich, es hätte den Holocaust und die Judenverfolgungen nie gegeben. Diesen Sinn kann man herauslesen, obwohl die Geschichte der Juden, die an diesem Platz seit etwa 1150 lebten, so komplex ist, dass ein ganzes Studium nicht ausreicht, allen Geschehnissen gerecht zu werden. Da wirkt das Denkmal Gotthold Ephraim Lessings, dem deutschen Dichter des "Nathan der Weise", wie eine Erlösung. Doch auch hier haben die Nazis dazwischen gefunkt. Der Dichter der Toleranz war ihnen natürlich nicht genehm. Das zerstörte Standbild wurde nach dem 2. Weltkrieg neu gegossen. Man sieht, dass die Wiener ihren Judenplatz lieben, wie er heute ist. Doch das Jüdische Museum habe ich noch nicht besucht.
Lessing am Judenplatz
Wir hatten ein gutes Mittagessen, diesmal im Levante, einem türkischen Restaurant mit serbischer Bedienung. So ist das eben in Wien. Ich machte mich auf den Weg, um noch Einkäufe zu tätigen. Mit Tüten belastet (der Österreicher sagt: Sackerln) begab ich mich in die Blutgasse. Wieder beschlich mich ein ungutes Gefühl, als ich ihn wieder sah: den Mann mit dem großen Hut. Er sah nicht furchterregend aus, hatte tiefblaue Augen und schaute mich scharf an. Die Fahrstuhltür schnappte zu. Ich stand davor, und der Mann drehte sich nach mir um, als erinnere er sich, dass wir uns bei Nacht schon mal begegnet waren. Dann war ich mit meinen Tüten wieder allein und stieg verwirrt in den Lift. In der Wohnung holte ich das grässliche Massenblatt "Heute" aus der U-Bahn heraus und begann zu lesen: "Kind tot aufgefunden. Phantomzeichnung des mutmaßlichen Täters". Die Ähnlichkeit mit meinem Hutträger war nicht zu übersehen. Was, um Himmels willen, sollte ich tun? Ich kaufte noch eine Zeitung, die etwas vertrauenswürdiger erschien und las auf der dritten Seite, dass das mysteriöse Verschwinden eines dreijärigen Knaben in der Innenstadt noch nicht aufgeklärt war. Vor Müdigkeit muss ich eingeschlafen sein, denn ich kann mich nicht mehr an irgend etwas genau erinnern.
Kärntnerstraße, Ecke Graben |
Ich traf Cath um die Mittagszeit, an der Pestsäule, denn wir wollten zusammen essen. Es gibt im Zentrum endlos viele Möglichkeiten. Alle nationalen und internationalen Küchen sind hier vertreten. Noch habe ich etwas Zeit, die ich nutze, zum Judenplatz hinüber zu gehen. Dort, in einer Art Buchhandlung mit Antiquitäten erstehe ich ein silbernes Milchkännchen und ein seltsames Buch, von dem ich nie etwas gehört hatte: "Adolf Hitler mein Jugendfreund" von August Kubizek, zuerst erschienen 1953, jetzt in einer Sonderausgabe des Leopold Stocker Verlages von 2002. Knapp 300 Seiten, die penibel genau belegen, dass auch ein Monster in jungen Jahren ein Idealist sein und eine echte Freundschaft zu einem anderen Jungen haben konnte. Es war, wie immer, meine Neugier, die mich das Buch kaufen ließ. Es ist ehrlich, und es gibt Einsicht in einen jungen Adolf Hitler, von dem wir verständlicherweise eher nichts Gutes wahrnehmen wollen. Vielleicht eine unnötige Übung, die aber etwas zum Thema "Wer war Hitler?" beitragen kann.
Der schöne Judenplatz |
Der Judenplatz hat es in sich. Ein klotziges Monument, von der britischen Künstlerin Rachel Whitehead geschaffen, 10 x 7 Meter breit, ist wohl als Hindernis für diesen schönen Platz gedacht. Es versperrt einfach die Sicht. Simon Wiesenthal hatte das schlichte Denkmal angeregt. Wer es betrachtet, wünscht sich, es hätte den Holocaust und die Judenverfolgungen nie gegeben. Diesen Sinn kann man herauslesen, obwohl die Geschichte der Juden, die an diesem Platz seit etwa 1150 lebten, so komplex ist, dass ein ganzes Studium nicht ausreicht, allen Geschehnissen gerecht zu werden. Da wirkt das Denkmal Gotthold Ephraim Lessings, dem deutschen Dichter des "Nathan der Weise", wie eine Erlösung. Doch auch hier haben die Nazis dazwischen gefunkt. Der Dichter der Toleranz war ihnen natürlich nicht genehm. Das zerstörte Standbild wurde nach dem 2. Weltkrieg neu gegossen. Man sieht, dass die Wiener ihren Judenplatz lieben, wie er heute ist. Doch das Jüdische Museum habe ich noch nicht besucht.
Lessing am Judenplatz
Wir hatten ein gutes Mittagessen, diesmal im Levante, einem türkischen Restaurant mit serbischer Bedienung. So ist das eben in Wien. Ich machte mich auf den Weg, um noch Einkäufe zu tätigen. Mit Tüten belastet (der Österreicher sagt: Sackerln) begab ich mich in die Blutgasse. Wieder beschlich mich ein ungutes Gefühl, als ich ihn wieder sah: den Mann mit dem großen Hut. Er sah nicht furchterregend aus, hatte tiefblaue Augen und schaute mich scharf an. Die Fahrstuhltür schnappte zu. Ich stand davor, und der Mann drehte sich nach mir um, als erinnere er sich, dass wir uns bei Nacht schon mal begegnet waren. Dann war ich mit meinen Tüten wieder allein und stieg verwirrt in den Lift. In der Wohnung holte ich das grässliche Massenblatt "Heute" aus der U-Bahn heraus und begann zu lesen: "Kind tot aufgefunden. Phantomzeichnung des mutmaßlichen Täters". Die Ähnlichkeit mit meinem Hutträger war nicht zu übersehen. Was, um Himmels willen, sollte ich tun? Ich kaufte noch eine Zeitung, die etwas vertrauenswürdiger erschien und las auf der dritten Seite, dass das mysteriöse Verschwinden eines dreijärigen Knaben in der Innenstadt noch nicht aufgeklärt war. Vor Müdigkeit muss ich eingeschlafen sein, denn ich kann mich nicht mehr an irgend etwas genau erinnern.
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