Donnerstag, 15. November 2012

Die Herren vom Gymnasium

 Ach, was waren wir für tolle Burschen. Einige hatten schon eine feste Freundin, nannten sie stolz "meine Frau", andere bemühten sich, Lehrer frontal anzugehen, als Zeichen einer voll durchschlagenden Spätpubertas. Manche versuchten sich an den ganz schwächlichen Erziehern, die nicht fest genug im Sattel saßen. Wer kannte das nicht? In einer Zeit, als man noch glaubte, nach dem gelungenen Abitur im Nu die Welt erobern zu können, was hat man da nicht alles vollbracht. Freiwillige Spanischstunden bei einem unsäglich langweiligen Pauker. Tanzstunden, um den letzten Schliff im Umgang mit der Damenwelt zu erhalten. Sonntags ging der eine oder andere noch brav in die Kirche. Für Schwulsein gab es meines Wissens nicht einmal ein richtiges Wort. Der Traum von der Weltreise, irgendwie würde man das Geld schon zusammenbringen, waberte in den Köpfen, aber nur einzelne Querköpfe und Eigenbrötler dachten ernsthaft daran und sammelten entsprechende Zeitungsausschnitte. Der Deutschlehrer gab Anregungen, die manchmal auch Früchte trugen: lest Franz Kafka, Stefan Zweig, Ernst Jünger! Dass einmal eine Frau Bundeskanzler werden könnte, oder ein Schwarzafrikaner Präsident der USA, daran wurde nicht einmal gedacht.
My generation?

Dann kamen die Jahre, wo man sich aus den Augen verlor, eine Familie gründete, nicht etwa in der Heimatstadt, nein, irgendwo im In- oder Ausland. Zu Wohlstand, bescheiden oder weniger bescheiden, kam man, und die alten Kameraden von der Schule sah man nicht mehr. Ab und an, zwar, hörte man voneinander, aber die Lust, sich wieder zu sehen, blieb beschränkt. Keiner dachte daran, wie schnell das Leben vorbeizog. Dann geschah, was geschehen musste: Jemand hatte die E-mail Adressen, ja, es gab sie schon, zusammengetragen und ein Klassentreffen vorgeschlagen.

Das war die Gelegenheit, zu zeigen, was man im Leben geschafft hatte, oder auch nicht. Einige schwiegen ein wenig, andere gaben es zu: ich bin seit drei Jahren geschieden, meine Kinder leben in Amerika, ich hatte einen schweren Autounfall, ich habe es nicht weit gebracht. Einige kamen nicht. Andere ließen sich nicht wieder auffinden. Von einigen wusste man, dass sie verstorben waren. Ein munter verplauderter Tag endete mit dem vorsichtigen Wunsch, sich doch gelegentlich wieder zu sehen. Dann ging jeder seiner Wege.

Der Herbst des Lebens

Jetzt war es wieder passiert: wir trafen uns. Mich hatte die Neugier getrieben, deshalb nahm ich einige Stunden  Autobahnterror auf mich, um mich am vereinbarten Treffpunkt einzufinden. Als wir 6 uns mühsam wieder erkannt hatten, hieß es einer wird noch erwartet. Dann waren wir 7 und begaben uns ins nächste Gasthaus. Der eine bestellte sich kühn einen Radler, den man im Norden eher Alsterwasser nennt. Der andere ein Wasser. Es waren auch noch zwei Biere darunter und zwei Viertel Wein, soweit ich mich daran erinnere. Erinnern konnten wir uns auch noch an einige Lehrer, einige Schulfreunde, die nicht mehr aufgetaucht waren. Beim Gang durch die Innenstadt merkte ich, dass die beiden Kinos verschwunden waren. Dafür gab es an allen Ecken Apotheken und, vor allem, sehr viele Ausländer. Ich hörte in den Straßen russisch, türkisch, englisch und wenig Dialekt. Die Welt hatte sich so verändert, dass ich fast mein geparktes Auto nicht mehr finden konnte. Mit dem trat ich dann den Heimweg an, fest entschlossen, nie wieder zu einem Klassentreffen zu gehen. Meine Wildmaultaschen mit Preiselbeeren kann ich auch alleine verspeisen.


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