Hat er nicht das beste aus uns herausgeholt? Wir standen im Schulhof, beendeten unsere Gespräche mit "Hugh, ich habe gesprochen" und fanden die Mädchen doof, weil sie Trotzkopf und Heidi lasen. Mit dem Schacher um die über 60 Karl May Bände war nicht zu spaßen. Man hatte Wartezeiten bis zu mehreren Wochen, bis man endlich Band 3 Im Reich des silbernen Löwen ergatterte. 600 Seiten. "In zwei Tagen brauche ich ihn wieder, denn meine Schwester hat ihn ihrem Freund geklaut. Wenn der dahinter kommt habe ich ein Problem". Dafür musste ich meinem Freund Durchs wilde Kurdistan leihen, das ich von Heide bekam, das einzige Mädchen in meiner Knabenwelt, das Karl May las. Sie trug auch Lederhosen, kletterte auf Bäume, und ihre Mutter sagte immer zu ihr: "An dir ist ein Junge verloren gegangen".
Am Rio de la Plata
Ich selbst gehörte zu den armen Hunden, die lediglich den dritten Band von Winnetou ihr Eigen nannten. Damit waren kaum Geschäfte zu machen. Andererseits schaffte ich es immer wieder, einen Karl May mit nach Hause zu nehmen. Dort fing der Kampf erst richtig an. Am Rio de la Plata wurde raffiniert versteckt, bis die Hausaufgaben gemacht waren. Dann, nach dem Abendessen, schützte ich Müdigkeit vor. Fernsehen gab es zum Glück noch nicht. Dafür aber Am Rio de la Plata. Mit einer Taschenlampe im Schlafanzug verzog ich mich, verdächtig früh und begab mich unter die Bettdecke. Natürlich musste ich darauf achten, dass ich den mütterlichen Kontrollgang nicht verpasste, denn sie schaute immer nach, ob ich schon schlief. Das wurde ihr dann perfekt vorsimuliert, bis ich wieder weiterlesen konnte. Die Batterie war oft leer, wenn die 600 Seiten gelesen waren. Mit geröteten Augen ging es dann an den Frühstückstisch, wo wenig darauf geachtet wurde, wie müde man aussah. Schließlich mussten die Kinder (meine kleine Schwester und ich) rechtzeitig zur Schule. Dort wurde Am Rio de la Plata diskret zurückgegeben und später Der blaurote Methusalem in Empfang genommen. Einen dieser Bände konnte ich auf der Fensterbank bei Vollmond lesen. Kein Wunder, dass ich eine Erkältung bekam, und als Langzeitfolge, eine Brille tragen musste.
Danke, Karl May. Du hast viele glücklich gemacht. Ich pfeife auf die hämischen Bemerkungen Arno Schmidts, des Verfassers von Zettel's Traum, einem grandiosen aber völlig verrückten Werk, der in einer psychologischen Studie, "Sitara und der Weg dorthin", unseren geliebten Karl May als Homoerotiker zur Schnecke machte. Natürlich wusste wir damals schon, längst erwachsen geworden, dass bei Karl May kaum Mädchen vorkamen (ich las ja auch die Bücher meiner Schwester, wo es nur so von Mädchen wimmelte), aber das fiel uns kaum auf, denn wir waren die Freunde von Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand, und nicht von irgendwelchen Mädchen. Die großspurige Männerehre lernten wir von Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Davud Al Gosara, und den vornehmen Charakter der Rothaut Winnetou machten wir uns zum Vorbild. Da war kein Platz für Mädchen. Dass Arno Schmidt mit seinen nicht ganz unbegründeten Unterstellungen uns im Nachhinein Karl May madig machte, war nicht nett. Viele von uns haben noch geschluckt, als uns schon der Adamsapfel gewachsen war.
Zweihundert Millionen Karl May Bücher wurden gedruckt. Jetzt ist dieser Autor hundert Jahre tot. Was uns bleibt, sind die Erinnerungen an einen seltsamen Aufschneider, einen mittleren Betrüger, einen total verlogenen Reiseschriftsteller, der uns Jungen von damals in wilde Träume versetzte und auf abenteuerliche Reisen mitnahm. Vielen Dank, Karl May.
Am Rio de la Plata
Ich selbst gehörte zu den armen Hunden, die lediglich den dritten Band von Winnetou ihr Eigen nannten. Damit waren kaum Geschäfte zu machen. Andererseits schaffte ich es immer wieder, einen Karl May mit nach Hause zu nehmen. Dort fing der Kampf erst richtig an. Am Rio de la Plata wurde raffiniert versteckt, bis die Hausaufgaben gemacht waren. Dann, nach dem Abendessen, schützte ich Müdigkeit vor. Fernsehen gab es zum Glück noch nicht. Dafür aber Am Rio de la Plata. Mit einer Taschenlampe im Schlafanzug verzog ich mich, verdächtig früh und begab mich unter die Bettdecke. Natürlich musste ich darauf achten, dass ich den mütterlichen Kontrollgang nicht verpasste, denn sie schaute immer nach, ob ich schon schlief. Das wurde ihr dann perfekt vorsimuliert, bis ich wieder weiterlesen konnte. Die Batterie war oft leer, wenn die 600 Seiten gelesen waren. Mit geröteten Augen ging es dann an den Frühstückstisch, wo wenig darauf geachtet wurde, wie müde man aussah. Schließlich mussten die Kinder (meine kleine Schwester und ich) rechtzeitig zur Schule. Dort wurde Am Rio de la Plata diskret zurückgegeben und später Der blaurote Methusalem in Empfang genommen. Einen dieser Bände konnte ich auf der Fensterbank bei Vollmond lesen. Kein Wunder, dass ich eine Erkältung bekam, und als Langzeitfolge, eine Brille tragen musste.
Danke, Karl May. Du hast viele glücklich gemacht. Ich pfeife auf die hämischen Bemerkungen Arno Schmidts, des Verfassers von Zettel's Traum, einem grandiosen aber völlig verrückten Werk, der in einer psychologischen Studie, "Sitara und der Weg dorthin", unseren geliebten Karl May als Homoerotiker zur Schnecke machte. Natürlich wusste wir damals schon, längst erwachsen geworden, dass bei Karl May kaum Mädchen vorkamen (ich las ja auch die Bücher meiner Schwester, wo es nur so von Mädchen wimmelte), aber das fiel uns kaum auf, denn wir waren die Freunde von Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand, und nicht von irgendwelchen Mädchen. Die großspurige Männerehre lernten wir von Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Davud Al Gosara, und den vornehmen Charakter der Rothaut Winnetou machten wir uns zum Vorbild. Da war kein Platz für Mädchen. Dass Arno Schmidt mit seinen nicht ganz unbegründeten Unterstellungen uns im Nachhinein Karl May madig machte, war nicht nett. Viele von uns haben noch geschluckt, als uns schon der Adamsapfel gewachsen war.
Zweihundert Millionen Karl May Bücher wurden gedruckt. Jetzt ist dieser Autor hundert Jahre tot. Was uns bleibt, sind die Erinnerungen an einen seltsamen Aufschneider, einen mittleren Betrüger, einen total verlogenen Reiseschriftsteller, der uns Jungen von damals in wilde Träume versetzte und auf abenteuerliche Reisen mitnahm. Vielen Dank, Karl May.
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