Samstag, 23. Juli 2011

Die Lebensmittelindustrie stürzt sich ins Unglück




Wir wollen jetzt nicht mit den grässlichsten Beispielen von Etikettenschwindel in den Supermärkten aufwarten. Nur das Alltägliche, das immer wieder verärgert. Vieles ist ja schon bekannt und löst beim Käufer oft kalte Wut aus. Anderes kommt hinterhältig daher, oder hilflos pompös: Warum gibt es keinen normalen Schinken mehr? Nur noch Premium, Delikatess, Gourmet? Dabei schmeckt der einstige Parmaschinken jetzt wie der Schwarzwälder oder der Serrano, das heißt, fast gleich, und die Preisunterschiede rechtfertigen sich nur durch die hochtrabenden Bezeichnungen. Man fühlt sich an der Nase herumgeführt.

Oft liegen gleiche Waren mit unterschiedlichen Preisen nebeneinander und dann, unauffällig daneben, eine Variante, bei der die Preisangabe "vergessen" wurde. Die erweist sich dann an der Kasse als die teuerste. Ist das anständig? Wie oft verfluche ich auch das Wort "frisch". Was ist eine Frischetheke? Wer definiert was frisch ist? Wie alt ein Frischei sein kann, wissen wir. Und warum werden manche Früchte in 100 Gramm-Mengen ausgezeichnet? 100 Gramm Kirschen, 79 Cent. Das bedeutet, der Kilopreis von 7.9o € (DM 15,80) erweckt Schamgefühl. Und so weiter, und so weiter.

Dass jetzt die Lebensmittelhersteller gegen die von den Verbraucherzentralen eingerichtete neue Internetplattform Sturm laufen, ist ein Hoffnungsschimmer, denn das zeigt, wie beunruhigt die Branche ist. "Lebensmittelklarheit.de" heißt die Seite, die dem König Kunde jetzt die Möglichkeit geben soll, seinem Ärger Luft zu machen. "Wir halten uns an die Gesetze und wollten nicht von irgendwelchen Miesmachern an den Pranger gestellt werden", sagen die Sprecher. Andere sehen bereits eine Pranger-Hysterie auf Seiten der Mampfproduzenten. Natürlich lassen die laschen Gesetze allerhand Raum für
Lügen, Manipulationen, Zweideutigkeiten und ähnliches. Muss das ausgenutzt werden? Alles geht bisher zu Lasten des Verbrauchers.

Eine eigenartige Erfahrung machten wir bereits: die Bürger Tunesiens, Ägyptens und anderer Länder im Aufruhr, haben ihre Motivation für den Protest weitgehend aus dem Internet bezogen und dort ihre Informationen erhalten. Wenn der deutsche Verbraucher seinem Ärger nun mehr Luft verschaffen kann, mag das die Lebensmittelindustrie zwar zum Erzittern bringen, andererseits aber wird der König Kunde bald auch mehr Ehrlichkeit auf seinem Teller sehen. Weniger Frischegedöns und Premiumgesäusle und mehr Wahrheit. Das ist es, was diese Internetseite bewirken kann. Je größer der Kundenärger, desto Tsunami die Welle der Empörung. Ich werde mit Genuss daran teilnehmen, um auf lange Sicht eine Premiumlösung für diesen permanenten Schwindel mit bewirken zu können. Guten Appetit.

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