Samstag, 18. Dezember 2010

Was ist mit Uriella?





Um die Führerin der schweizer Sekte, Fiat Lux, ranken sich seit etwa 2 Jahren unglaubliche Gerüchte. Man hat sie schon so lange nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Sie soll Krebs (gehabt) haben. Wer erinnert sich nicht an die abenteuerlichen Geschichten um diese skandalumwitterte, mit dunklen Wuschelhaaren ausgestattete Religionsführerin, die von sich behauptet(e), sie sei die Wiedergeburt von Nofretete. Den Weltuntergang hat sie auch erfolgreich vorausgesagt. Die Zahl der Anhängerschaft ist allerdings seit der Gründung von Fiat Lux von gestrichenen 300 auf ganze 100 geschrumpft. Das ist auch gut so, denn das erwartete Raumschiff, auf dessen Landung bei Ibach/Sankt Blasien im Schwarzwald fiebrig hingearbeitet wird, fasst nur eine Auswahl von erlesenen Anhängern. Wo die hintransportiert werden sollen, weiß nur der innere Führungszirkel. Man sagt Uriella nach, dass sie mit ihren Talkshows und anderen Unterhaltungsbeiträgen, und mit einem eigenartigen Mann namens Icordo an ihrer Seite, erkleklichen Reibach machen konnte. Die Raumfahrt ist eben teuer. Vielleicht reicht der Sprit bis in den Andromedanebel. Dann sind wir Uriella los, auch ohne pompöses Dahinscheiden. Bürgerlich war ihr Name Erika Bertschinger-Eicke. Sie wirkte Wunder (welche?) und konnte hellsehen (aber, was?). 

Cath und ich hatten einen Termin in Ibach. Deshalb reisten wir am Freitag Abend an, um Samstag früh bei Lucile und Rüdiger sein zu können. Wir freuten uns darauf. Die Reise war keineswegs beschwerlich. Doch wir befürchteten, in verschneite Gegenden zu gelangen. Schließlich lagen am Feldberg, der höchsten Erhebung des Schwarzwaldes, im Oktober schon 16 cm Schnee. Nachdem wir die Auswüchse (in Form von Straßenbaumaßnahmen) des merkelschen Wirtschaftsankurbelungsprogrammes auf der Autobahn bei Freiburg – Stoßstange an Stoßstange -  hinter uns gelassen hatten, kurvten wir, mit Winterreifen ausgestattet, über Kirchzarten und Todtnau bis nach Sankt Blasien. Obwohl wir selbst im mittleren Schwarzwald wohnen, hatten wir nicht daran gedacht, wie schön der Hochschwarzwald ist, mit seinen wahrlich prächtigen Häusern. So ein Schwarzwaldhaus ist ein bewohntes Universum. Jahrhunderte dauerte der Prozess, diese harmonischen landwirtschaftlich bedingten Wohnkolosse (alles unter einem Dach) entstehen zu lassen. Die roten Bollenhüte, irgendwie das Markenzeichen des Schwarzwaldes, gibt es jedoch nur noch in Schaufenstern. Man möchte dies fast bedauern, wobei jeder weiß, dass diese Hüte von ledigen Frauen im Glottertal getragen wurden. Hatten diese dann durch Heirat ihre Unschuld verloren, durften die Wollbommel auf dem Kopf nur noch schwarz sein. Den meisten war es recht. Die roten Bommeln gingen auf die Töchter über. Die Wälder und Wiesen mit den verstreut liegenden Höfen hatten manchmal etwas Spukhaftes, Verträumtes, Außerirdisches. Kein Wunder, dass die Sektengründerin Erika Bertschinger-Eicke (Uriella. Schon vergessen?) dort oben bei Ibach ihren einsamen Landeplatz für das Raumfahrzeug ausgesucht hat. 
In Sankt Blasien erwartete uns ein Hotel, das Lucile für uns ausgesucht hatte. Zunächst aber erholten wir uns von der langen Autofahrt in einem Café, wo bei mäßiger Gemütlichkeit kleine runde Haselnusstörtchen angeboten wurden. Der Clou waren die ganzen Haselnüsse, die wie aufgeklebt auf einem Schokotellerchen thronten. Haselnussknacker hieß das Gebäck, oder so. Sehr lecker, aber schwer mit den Zähnen zu greifen. So ein Espresso wirkt dann Wunder. In kurzer Zeit waren wir wieder mobil und gingen im Städtchen herum, das kuschelig und – Freitag Abend – wie herausgeputzt, dem Strom der herumlaufenden Müßiggänger trotzte. 

Natürlich muss man den Dom besuchen, ein imposantes Bauwerk mit riesiger Kuppel und klassischem Portal. Wir schafften es, nicht hinein zu gehen. Später, später, ist eine gefährliche Nachlässigkeit. Man vergisst es einfach. 
Der Abend war gekommen, wir fanden ins Hotel. Ein Familienbetrieb von der guten Sorte. Das Zimmer Nummer drei: gemütlich mit biedermeierlichen Holzmöbeln. Das Willkommengefühl war da. Man sieht, dass Tradition kein leerer Wahn sein muss, sondern leicht und beschwingt daher kommen kann. Lucile und Rüdiger kamen zum Abendessen ins Restaurant des Hauses. Stilvoll und gut wurde gegessen. Ich glaube, wir alle hatten Steinpilz mit Knödel, ein klassischer Schmaus. Für Cath gab es etwas anderes. Der Wein: ausgesucht. Der Gruß aus der Küche: herzlich und herzhaft. „Badische und schwäbische Spezialitäten mit Pfiff“. Nun, die badische und die schwäbische Küche ergänzen sich aufs Trefflichste. Von Rivalität kann da nicht die Rede sein, eher von Vermählung. Natürlich konnten wir die Terrasse gegenüber  Dom und Kloster nicht aufsuchen. Dafür war es zu kühl geworden, und die lauen Sommerabende waren vorbei. Das Klostermeisterhaus, so heißt das Familienhotel, liegt im Dreieck zwischen den Flüsschen Steinenbach und Alb. Malerisch abgeschirmt und doch im Zentrum des Geschehens. Ganz Sankt Blasien scheint um das Klostermeisterhaus herumgebaut zu sein. Schön, ja idyllisch war das Frühstück im familiären Rahmen. Die Gastgeber, Katharina und Frank Lausterer saßen alle an einem großen Tisch, der vom fröhlichen Trubel der Kinder seine morgendliche Lebhaftigkeit erhielt: Cath und ich waren zu dieser späten Morgenzeit die einzigen Fremden, die das Spektakel beobachteten. Mir bleibt in Erinnerung ein herrlich großer Brotlaib, von dem man mit der Brotsäge seine Scheiben heruntersäbelte. Köstlich, dieses Brot. Man findet unter den hundert Sorten im Angebot des Supermarkts kein einziges, das so meisterhaft, das so herrlich schmeckt, klostermeisterhaft. Danach verließen wir die Domstadt, um die 6 Kilometer bis nach Ibach zu fahren. Dort leben Lucile und Rüdiger.
Ich habe Schwierigkeiten, das Kapitel “Lucile” ordentlich zu beginnen, und es eventuell auch ordentlich abzuschließen. Rüdiger, der liebende Gatte, wird zuerst mal ein wenig beiseite geschoben. Ich muss mich auf Lucile konzentrieren, sonst geht mir alles schief. Seit unserer Studienzeit kenne ich sie als eine Esoterikerin. Mein erster Fehler ist das Wort Esoterik: nur einem Kreis Begabter und Würdiger zugänglich. Das stimmt nicht. Woran ich mich bei Lucile nicht erinnere, ist ein gefälliges Einstimmen in gängige Meinungen, die nicht persönlich überprüft wurden. Ich möchte mich darauf einigen, und tue das mit Freuden, weil ich hierbei nicht allein bin, dass Lucile immer schon eine ungewöhnliche Frau war und es heute erst recht ist. Mein zweiter Fehler, die Dame Uriella ins Gespräch gebracht zu haben, und das, im gleichen Zusammenhang mit der heiklen Beschreibung von Luciles Tätigkeit. Aber schließlich können Lucile und Rüdiger nichts dafür, dass diese selbsternannte Dame aus der Schweiz sich ebenfalls Ibach als Wirkungsort ausgesucht hat. Ihre Bekanntheit ist weitgehend unverdient und schwindet rapide. Zurück zu Lucile: zusammen mit Rüdiger hat sie in Ibach etwas aufgebaut, was ziemlich einmalig ist: eine Praxis zum Selbstfinden. Regeneration, Sinnfindung und Selbstfindung sind die Begriffe, um die Luciles und Rüdigers Tun kreist. Ich möchte den dritten Fehler vermeiden, nämlich zu versuchen, das umfassende Werk der beiden auch nur annähernd zu umreissen. Ich muss es mit meinen eigenen Worten versuchen: alles, was gut, positiv, kreativ, schön und harmonisch ist, kommt zum Einsatz und wird zur Therapie. Ein Spitzenmanager, dem es um die Erhöhung seiner Effizienz und seines Einkommens geht, ohne an die menschliche Entfaltung zu denken, wird ein gut gepflegtes Schimmbad haben, einen Maibach und eine Anzahl dienender Geister. Verspielt hat er trotzdem. Sein Leben verlängert sich höchstens durch den brutalen Einsatz von Medizin, nicht aber durch Glück und Wohlsein. Ich benutze dieses Wort Wohlsein gerne, nicht nur zum Zuprosten beim Genuss eines Glases Wein, sondern, weil “Wohlsein” selten geworden zu sein schein. Menschen, die mit sich zufrieden sind, brauchen nicht das Böse, um auf sich aufmerksam zu machen. Lucile praktiziert “Initiatische Atsrologie”, notgedrungen die Spitze eines unglaublich hohen Eisbergs  andeutend. Sie erstellt ein menschliches Horoskop, indem sie sich aller Mittel bedient, außer der Gewalt, der Indiskretion oder der Niedertracht. Ihre Klugheit, angeboren, wohl, aber auch erworben durch eigenes Erleben, lässt sie zu einem Medium werden zwischen dir und dir, zwischen dir und der Welt, zwischen Partnern. Sie versteht es, dein Leben und Tun so zu beleuchten, dass du es selbst erkennen kannst. Was kann man mehr erwarten, von der Gelegenheit, dieser Frau zwei Stunden lang gegenüber zu sitzen und ihren wohlvorbereiteten Fragen und Aussagen zu lauschen? Wir alle wissen, was von der wöchentlichen Astrologie im Illustriertenformat zu halten ist. “Sie werden eine finanzielle Begegnung haben, ihr Partner wird sich auf Ihre Qualitäten besinnen. Vorsicht am Donnerstag: eine lange gehegte Befürchtung könnte eintreten”. Humbug und Unsinn. Das wissen wir. Aber sind wir darauf vorbereitet, dass die Sterne ganzheitliche Aussagen zur Persönlichkeit machen? “Der Kosmos im Menschen - der Mensch im Kosmos” ist eine Schrift, von Rüdiger vor Jahren verfasst. “Wandlung zur Ganzheit” war Rüdigers Promotionsthema. Damit wäre eigentlich alles gesagt. 
Außer, dass Cath und ich, nicht zum erstenmal, Lucile aufsuchten, nicht nur, weil sie eine langjährige Freundin ist, nein, sie ist für uns eine Wegweiserin. Wir fühlten uns erkannt, bestätigt, erweitert, ganzheitlich erfasst, wieder zurechtgerückt.  Gibt es etwas Schöneres? Im gemütlich und gastfreundlich eingerichteten Haus in Ibach aßen wir dann zusammen eine tantrisch-gekonnte Suppe, ein gastronomischer Abschluss unseres Besuches. Der Tisch war mit herrlich polierten Steinen geschmückt. Rüdiger servierte ein sprudelndes Getränk, als Champagner unserer Freundschaft. Wer dieser wohltuenden Welt näher kommen möchte, soll dieses E-Mail ausprobieren: ruediger.mueller-ibach@t-online.de 
Von Uriella haben wir nichts mehr gehört. Sie ist mit ihren 100 verbliebenen Anhängern ohne ein Visum zu benötigen, in die Gefilde des Andromedanebels entwichen. Vielleicht ist sie da glücklich und zufrieden. Vielleicht hat sie aber ihr Menschsein auf dieser Erde total missverstanden? Oder, sie lebt gar noch. Dann hat sie die Chance, ihr Tun neu zu überdenken. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen