Montag, 6. Juni 2016

Knigge, Sex und soziale Medien.

Freiherr von Knigge, 17hundert und etwas, sagte uns allen wo's langgeht. Er war die unumstößliche Autorität, wenn man heranwuchs und keine ständig nörgelnde Mutter hatte, die ihre Kinder in den Senkel stellte. Väter waren zum Beibringen der Etikette ohnehin ungeeignet. Wie man einen Handkuss verpasst, wie man der Dame die Blumen überreicht, wie man beim Tanzen der Dame nicht die haltende Hand in das schulterfreie Kleid schiebt, andererseits sie,  auch nicht in die Gesäßgegend abgleiten lässt, das alles mussten die jungen Herren lernen. Wie man die Gabel hält, sich nicht mit dem Messer am Kopf kratzt und der Dame (jede Frau eine Dame!) nicht wie verblödet in den Ausschnitt schielt. Danke, lieber Freiherr, ich habe mich immer an die wesentlichsten Richtlinien gehalten und manchen Erfolg damit gefeiert.


Diese Zeiten sind jetzt vorbei. In den Fünfzigerjahren habe ich noch schüchtern nackte Mädchen in Schaufenstern an der Reeperbahn betrachtet. Und mit einem Freund dort meinen ersten Porno gesehen. Eintritt unsägliche 8 DM, dazu gab es eine Cola Cola. Der riesige Penis, der über die Leinwand schwebte, machte mich fast blind. In der Zwischenzeit ist viel Sperma den Bach hinunter geschwommen. Die Tabus sind nur so gepurzelt, was jeden Tag in den sozialen Medien zu erleben ist.
Die Frau, die über 60 Kinder geboren hat, der Mann, der ein Kind gebar, sogar in Deutschland, der Priester (Banquier, Diplomat, Frauenarzt, Obsthändler, Freizeitsportler, Jumbopilot, Motorradfahrer, Sozialarbeiter usw.), der sich Kindern unsittlich genähert hat, und schlimmer noch. Das alles ist dem harmlosen und weniger harmlosen Zeitgenossen als tägliche Information und Unterhaltung verfügbar.


Nackte Wahrheit schadet nicht 
Man stelle sich eine arglose Nonne vor, die ewige Keuschheit geschworen hat und solchen Ergüssen ausgesetzt ist. Oder das Kind, das neben dem Tierfilm keifende Vampire zu sehen bekommt. Während der durchschnittliche Fernsehkonsum - wohl wegen der unsäglich schlechten Programme -  leicht zurückgeht, geht der soziale Mediengenuss in astronomische Höhen, denn der Interessierte kann viel lernen, der ideologisch Ausgerichtete alle politischen Geschmäcker kennenlernen und der völlig Verblödete massenhaft Seinesgleichen über den Weg laufen. Doch vieles vermischt sich zu einer unübersichtlichen Suppe. Und das regional, national und international. Kein Wunder, dass fast jeder über fast alles fast nix weiß und kräftig mitreden möchte. Das Rezept lautet: Sex, Verbrechen, Freundschaft und Gegnerschaft. Beispiel: die Kämpfe im Vereinigten Königreich um dessen Austritt aus der EU. Oder die giftige Anmache unserer Gesellschaft durch AfD und PEGIDA.  Und wo bleibt unser Freiherr von Knigge mit seinen geputzten Fingernägeln? Der Dreck im Internet scheint überhand zu nehmen. Es wird höchste Zeit, dass wieder Umgangsformen beachtet werden und dass der Teilnehmer im Netz ein Schamgefühl entwickelt, das global das Erröten möglich macht. Sonst werden wir von Damen wie Frauke Petry, Herren wie Donald Trump, Rabauken wie Putin und Werbung (die das Ganze finanziert) mit Müll jeder Art zugeschüttet.   

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