Donnerstag, 28. August 2014

Wiener G'schichten - Wachstum ist alles

Wien hat alles, was eine Hauptstadt braucht: Bettler, Neugierige, Verbrecher, Martinshorn, Straßenlärm, High Society und etwa 1,8 Millionen Einwohner. Das alles konzentriert sich in der Mitte. Manche Städte haben kaum eine Mitte: die größte Stadt der Welt, auch wenn das etwas strittig ist, soll Chonqing sein, ein Monstrum von 32 Millionen Einwohnern am oberen Yangtse-Fluss gelegen. Als ich dort vor Jahren ankam, sagte man mir, dass bis zu 3 Millionen Tagelöhner jeden Tag in diese Stadt zusätzlich einströmen. "Tschong-Tching" oder so, wird diese Stadt ausgesprochen, die so gut wie niemand auf der Welt kennt. Genauso wenig, wie die Millionenstadt Nummer 307 auf der Weltrangliste, Rongcheng, die mit knapp über 1 Million das Schlusslicht bildet. Auch Wuhan war mit über 1 Million vor Jahrzehnten noch total unbekannt. Heute hat diese Chinatown über 4 Millionen und ist weltweit immer noch unbekannt.

Chongqing, oder etwas anderes?

Die Landfläche der Stadt Chongqing ist mit 82.000 km2 so groß wie Österreich. An Einwohnern, so groß wie Österreich, die Schweiz, die Slowakei und Tschechien zusammen. Die Infrastruktur ist mies, sodass die Bang-Bang-Männer, die schlangestehenden Lastenträger gegen Entgelt bis zu sieben fahrstuhllose Stockwerke Kühlschränke und andere Lasten hinauftragen müssen. Manche Häuser sind zu Fuß bequemer zu erreichen als mit dem Auto. Wien, vergleichbar mit Hamburg, Weltrangliste 132 und 135, ist jedoch eine Hauptstadt mit Lebensqualität, die sich in Verkehrsmitteln, Einkaufsmöglichkeiten, Sicherheit und Wetterstabilität ausdrücken lässt. Das Gesicht Wiens lässt sich leicht erkennen, egal ob man den Stephansdom, die Hofburg oder den kleinen, vergoldeten Johann Strauss im Stadtpark bewundert. Die Stadt Chongqing dagegen ähnelt den meisten Städten dieser Größe: mehr oder weniger schöne Wolkenkratzer, ein Stück Fluss, Verkehrschaos, organisiertes Verbrechen und Korruption, und eben 30 Millionen.


Jetzt erfahren wir, dass im kommenden Jahrzehnt die Metropole an der Donau mit ihren Einwohnern die 2 Millionengrenze überschreiten wird. "2029 sind wir 2 Millionen" titelt das Wiener Gratisblatt "heute". Dabei hatte Wien schon 1910 über 2 Millionen. Wenn man jedoch die einzelnen Stadtbezirke anschaut, stellt man fest, dass das Zentrum, der erste Bezirk, elf Prozent weniger Einwohner haben wird. Man muss sich fragen, wieso? Das Wiener Zentrum ist der leckerste Platz dieser Stadt. Wer die Mittel besitzt, kann sich da gerne ein Penthaus kaufen oder eine kostspielige Wohnung mieten. Da die obere Einkommensklasse sich nicht um Preise kümmern muss, müsste doch für den ersten Bezirk ein sattes Wachstum der Bevölkerung vorhersehbar sein. Minus 11%, da ist doch der Wurm drin. Gerne möchte man da wissen, woran das liegt.


Natürlich ist der schwere Zugang zum Zentrum mit dem Auto ein Problem, selbst, wenn eine Garage zur Verfügung steht. Die vielen Attacken auf Geschäfte und die Einbrüche in Wohnungen sind da schwer einzuordnen. "Wien wächst" heißt es da, und "in eine schiache Stadt kommt niemand". Vielleicht liegen da die Gründe für eine Schrumpfung der Wohndichte im Zentrum.

Was jedoch in Wien Mitte auffällt, ist der hemmungslose Lärmpegel, der sich schon früh am Morgen erhebt: Müllwagen, die ihre Tonnen laut entleeren, Lastwagen jeder Art, die etwas liefern oder abholen. Dazu die ständigen Bauarbeiten an Häusern und Fassaden. Laute Stimmen, die alles andere übertönen wollen. Dann, bei uns in der Singerstraße/Blutgasse, die Glocken, die rechthaberisch auf ihr Geläute pochen. Nicht zu vergessen, der gelegentliche Aufheuler eines Motorrades, dessen Fahrer zu viel Testosteron abbekommen hat. Nein, die zahlreichen Bettler können es nicht sein, eher die vielen Touristen, die an manchen Tagen einfach überall sind. Vielleicht liegen hier die Erklärungen für den stillen Wegzug von Bürgern, die das alles nicht mehr ertragen wollen. Ein Nachdenken über die Verringerung des Lärms im schönen ersten Bezirk. Das scheint notwendig.




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