Auch diese Stadt hat sich stark verändert. In den Fünfziger Jahren zahlte man noch mit Pfund und Shilling. Das Pfund Sterling war 11,50 DM wert. Eine Flasche Johnny Walker gab es für etwa 1 Pfund. Eines der ersten chinesischen Restaurants befand sich in Soho. Das war nur für Chinesen da. Man sprach dort (fast) kein Englisch. Als weltoffener Jüngling stieg man im YMCA ab, wo man billig und gut übernachten konnte. Überall auf den Sraßen und in den U-Bahnstationen lagen weggeschmissene Zeitungen herum. London war ziemlich schmuddelig. Aber die Menschen waren freundlich und hatten nicht die Weltstadtarroganz der Pariser. Oft gab es Smog oder Nebel. Der Picadilly Circus war (noch) der Nabel der Welt. Fish and Chips gingen in Zeitungspapier gewickelt über den Tresen. Viele Kneipen schlossen um 22 Uhr: "Last order, please", hieß es dann, damit man schnell noch ein Bier bekam, bevor dann auch der Hyde Park für die Nacht geschlossen wurde. Jack the Ripper war auch damals noch nicht identifiziert, und die Dreigroschenoper war alles andere als verstaubt. Auch die Queen war noch knackfrisch, die heute für das Königreich so etwas wie der ruhende Pol ist.
Warum wollte ich mit meinen 20 Jahren dorthin? Natürlich, um mein Schul-Englisch zu verbessern. Aber ich benötigte einen Job, damit ich mich über Wasser halten konnte. Bernard, ein französischer Freund hatte mir erzählt, man könne leicht Arbeit finden in Warner's Holiday Camp auf der Isle of Sheppey. Diese Insel liegt an der Themsemündung und ist durch eine Brücke mit dem Festland verbunden. Mit dem Bus von London fuhr man 2 Stunden nach Sheppey. Ich war für 50 DM mit einem Studentenflugschein von Basel nach Gatwick geflogen. Meine griechische Nachbarin im Flugzeug, ein junges ängstliches Mädchen, klammerte sich verzweifelt an mich, als es zur Landung kam. Ich fand das ganz nett, aber ein wenig übertrieben. Natürlich hatte ich einen Brief an die Leitung des Camps geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Also meldete ich mich bei Warner's an der Rezeption. Man log mich an und sagte, man hätte mir abgesagt. Da kam der Manager hinzu, ein mittelalterlicher dicklicher Mann im dunklen Anzug, der gerade aus seinem schwarzen Humber ausgestiegen war. Ich fragte ihn. Er schaute mich an, als gerade der Vorarbeiter in einem weißen Overall dazu kam. "Charley, do you need a hand"? fragte er uninteressiert, und Charley sagte sofort "ja". Der Ire Charley war der Chef der "Maintenance", was ich mit "Service für alles" bezeichnen würde. Ich war eingestellt, musste einen weißen Overall mit der Aufschrift "Bob" tragen und war von nun an für sieben Wochen Bob.
Oft denke ich an diese unbeschwerte Zeit zurück. Das Holiday Camp war in den Fünfziger Jahren eingerichtet worden für bis zu 700 Urlauber, die meist aus der britischen Unterschicht kamen und für 1 Woche und 7 Pfund Sterling blieben. Samstags war An- und Abreise. Die Feriengäste bekamen einfache Chalets, die auf einer Wiese in Strandnähe verteilt waren. Dazwischen immer wieder kleine Toilettenhäuschen und Duschen. Es gab eine Halle, in der an kleinen Tischen das Essen serviert wurde und die abendliche Unterhaltung stattfand. Die bestand aus Rollschuhakrobatik, Schauboxen, Tanzwettbewerben und Spektakel, wobei am letzten Abend aus einem Netz an der Decke hunderte von bunten Luftballons heruntergelassen wurden, zum Ergötzen der rauchenden Gäste, die sich ein Vergnügen daraus machten, mit einem Knall die Ballons zu zerstören. Eine der großen Unterhalterinnen war Joyce. Sie beschwatzte an den Nachmittagen stundenlang die zahlreichen Kinder mit ihren Scherzchen. Die Kinder verehrten die ältere Dame. Wenn das Interesse nachließ, rief sie: "OK, children"? Und die Kinder antworteten: "OK, Joyce".
Meine Aufgabe wurde jeden Morgen neu zugewiesen, doch musste ich einmal am Tag mit einem Stock, der unten einen Nagel hatte, Papierfetzen und anderen Unrat von der Wiese aufpicken. Die erste Runde galt jedoch den Toiletten. Ich musste das Klopapier erneuern. Rollen gab es nicht, sondern hauchdünne, gefaltete Blätter, die in Boxen eingefüllt wurden. Eines Morgens entdeckte ich in einem Klo, dass ein offensichtlich verwirrter Gast die ganzen Wände mit Kot beschmiert hatte, inklusive Glühbirne, und dann alles mit den Blättern beklebt hatte. Der Gestank trieb mich zu Charley, der viel Verständnis für mich aufbrachte und die Putzfrau rief. Am Abend wurde ich von einer freundlichen Nurse, die im wirklichen Leben Lehrerin war, gebeten, kleine Kinder über den Teich zu rudern. Eines nach dem anderen. Eine schöne Aufgabe. Manchmal brachte Linda mir auch ein Kind, das von Bob einen Gutenachtkuss haben wollte. Schöne Zeiten.
Beim Essenfassen in der Kantine ging es mir richtig gut. Die Chefköchin Hilda war aus Düsseldorf und mit einem englischen Kranfahrer verheiratet. Ihre Eltern hatten ein Hotel gehabt, sind dann aber gestorben. "Wolfgang, pass bloß auf. Dat hier sin allens Räuber" hat sie mir mal auf Rheinisch zugerufen als sie mit der Kelle meinen Teller füllte. Sie bevorzugte mich sichtlich. Und mit einem Koch namens David war ich auch schnell befreundet. Er hatte gesehen, dass ich einen hellgrauen Anzug besaß. Den wollte er von mir leihen, damit er mit seiner Maid ins Kino nach Sheerness gehen konnte. Ich ließ es zu und begab mich selbst in meiner Freizeit in das kleine Städtchen. Wen sah ich da? David mit seiner Freundin. Als er mich erblickte, drehte er sich schnell um und verschwand. Hätte ich ihm zugerufen: "David, mein Anzug steht dir gut"? Nie im Leben.
Der Sommer auf Sheppey war ungewöhnlich sonnig. Man berichtete, dass sogar die Tomaten reiften. Kein Wunder, dass eines Abends ein riesiges Gewitter ausbrach. Ich kam vom Hauptgebäude als es losging: Platzregen, sofort, und Blitz und Donner. Ich schaffte es gerade noch, mich in eine Telefonzelle zu flüchten, die mitten auf dem Weg zu meinem Chalet stand. Dort harrte ich aus, als plötzlich, zum erneuten Blitz-und Donnerschlag, die Tür geöffnet wurde und ein Mädchen hereinhüpfte, das ich vom Sehen kannte. Sofort nestelte sie an mir herum. Ich wurde stürmisch geküsst und eindeutig bedrängt. Und ich wehrte mich, denn ich glaubte, das meiner Freundin Claudine in Paris schuldig zu sein, die ich nach dem Englandaufenthalt besuchen wollte. Die schnelle Tour passte mir auch schon damals nicht. Soll man das bedauern?
Ich habe auf Sheppey noch vieles erlebt. Aber auch sieben Wochen gehen einmal vorbei. Ich hatte von meinen 4 Pfund Lohn pro Woche genügend gespart, um dann das Flugzeug nach Paris nehmen zu können. Ich glaube, ich bezahlte 5 Pfund dafür. Wie einfach die Dinge doch waren.
Warum wollte ich mit meinen 20 Jahren dorthin? Natürlich, um mein Schul-Englisch zu verbessern. Aber ich benötigte einen Job, damit ich mich über Wasser halten konnte. Bernard, ein französischer Freund hatte mir erzählt, man könne leicht Arbeit finden in Warner's Holiday Camp auf der Isle of Sheppey. Diese Insel liegt an der Themsemündung und ist durch eine Brücke mit dem Festland verbunden. Mit dem Bus von London fuhr man 2 Stunden nach Sheppey. Ich war für 50 DM mit einem Studentenflugschein von Basel nach Gatwick geflogen. Meine griechische Nachbarin im Flugzeug, ein junges ängstliches Mädchen, klammerte sich verzweifelt an mich, als es zur Landung kam. Ich fand das ganz nett, aber ein wenig übertrieben. Natürlich hatte ich einen Brief an die Leitung des Camps geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Also meldete ich mich bei Warner's an der Rezeption. Man log mich an und sagte, man hätte mir abgesagt. Da kam der Manager hinzu, ein mittelalterlicher dicklicher Mann im dunklen Anzug, der gerade aus seinem schwarzen Humber ausgestiegen war. Ich fragte ihn. Er schaute mich an, als gerade der Vorarbeiter in einem weißen Overall dazu kam. "Charley, do you need a hand"? fragte er uninteressiert, und Charley sagte sofort "ja". Der Ire Charley war der Chef der "Maintenance", was ich mit "Service für alles" bezeichnen würde. Ich war eingestellt, musste einen weißen Overall mit der Aufschrift "Bob" tragen und war von nun an für sieben Wochen Bob.
Oft denke ich an diese unbeschwerte Zeit zurück. Das Holiday Camp war in den Fünfziger Jahren eingerichtet worden für bis zu 700 Urlauber, die meist aus der britischen Unterschicht kamen und für 1 Woche und 7 Pfund Sterling blieben. Samstags war An- und Abreise. Die Feriengäste bekamen einfache Chalets, die auf einer Wiese in Strandnähe verteilt waren. Dazwischen immer wieder kleine Toilettenhäuschen und Duschen. Es gab eine Halle, in der an kleinen Tischen das Essen serviert wurde und die abendliche Unterhaltung stattfand. Die bestand aus Rollschuhakrobatik, Schauboxen, Tanzwettbewerben und Spektakel, wobei am letzten Abend aus einem Netz an der Decke hunderte von bunten Luftballons heruntergelassen wurden, zum Ergötzen der rauchenden Gäste, die sich ein Vergnügen daraus machten, mit einem Knall die Ballons zu zerstören. Eine der großen Unterhalterinnen war Joyce. Sie beschwatzte an den Nachmittagen stundenlang die zahlreichen Kinder mit ihren Scherzchen. Die Kinder verehrten die ältere Dame. Wenn das Interesse nachließ, rief sie: "OK, children"? Und die Kinder antworteten: "OK, Joyce".
Meine Aufgabe wurde jeden Morgen neu zugewiesen, doch musste ich einmal am Tag mit einem Stock, der unten einen Nagel hatte, Papierfetzen und anderen Unrat von der Wiese aufpicken. Die erste Runde galt jedoch den Toiletten. Ich musste das Klopapier erneuern. Rollen gab es nicht, sondern hauchdünne, gefaltete Blätter, die in Boxen eingefüllt wurden. Eines Morgens entdeckte ich in einem Klo, dass ein offensichtlich verwirrter Gast die ganzen Wände mit Kot beschmiert hatte, inklusive Glühbirne, und dann alles mit den Blättern beklebt hatte. Der Gestank trieb mich zu Charley, der viel Verständnis für mich aufbrachte und die Putzfrau rief. Am Abend wurde ich von einer freundlichen Nurse, die im wirklichen Leben Lehrerin war, gebeten, kleine Kinder über den Teich zu rudern. Eines nach dem anderen. Eine schöne Aufgabe. Manchmal brachte Linda mir auch ein Kind, das von Bob einen Gutenachtkuss haben wollte. Schöne Zeiten.
Beim Essenfassen in der Kantine ging es mir richtig gut. Die Chefköchin Hilda war aus Düsseldorf und mit einem englischen Kranfahrer verheiratet. Ihre Eltern hatten ein Hotel gehabt, sind dann aber gestorben. "Wolfgang, pass bloß auf. Dat hier sin allens Räuber" hat sie mir mal auf Rheinisch zugerufen als sie mit der Kelle meinen Teller füllte. Sie bevorzugte mich sichtlich. Und mit einem Koch namens David war ich auch schnell befreundet. Er hatte gesehen, dass ich einen hellgrauen Anzug besaß. Den wollte er von mir leihen, damit er mit seiner Maid ins Kino nach Sheerness gehen konnte. Ich ließ es zu und begab mich selbst in meiner Freizeit in das kleine Städtchen. Wen sah ich da? David mit seiner Freundin. Als er mich erblickte, drehte er sich schnell um und verschwand. Hätte ich ihm zugerufen: "David, mein Anzug steht dir gut"? Nie im Leben.
Der Sommer auf Sheppey war ungewöhnlich sonnig. Man berichtete, dass sogar die Tomaten reiften. Kein Wunder, dass eines Abends ein riesiges Gewitter ausbrach. Ich kam vom Hauptgebäude als es losging: Platzregen, sofort, und Blitz und Donner. Ich schaffte es gerade noch, mich in eine Telefonzelle zu flüchten, die mitten auf dem Weg zu meinem Chalet stand. Dort harrte ich aus, als plötzlich, zum erneuten Blitz-und Donnerschlag, die Tür geöffnet wurde und ein Mädchen hereinhüpfte, das ich vom Sehen kannte. Sofort nestelte sie an mir herum. Ich wurde stürmisch geküsst und eindeutig bedrängt. Und ich wehrte mich, denn ich glaubte, das meiner Freundin Claudine in Paris schuldig zu sein, die ich nach dem Englandaufenthalt besuchen wollte. Die schnelle Tour passte mir auch schon damals nicht. Soll man das bedauern?
Ich habe auf Sheppey noch vieles erlebt. Aber auch sieben Wochen gehen einmal vorbei. Ich hatte von meinen 4 Pfund Lohn pro Woche genügend gespart, um dann das Flugzeug nach Paris nehmen zu können. Ich glaube, ich bezahlte 5 Pfund dafür. Wie einfach die Dinge doch waren.
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