Es war in Marrakesch, vor vielen Jahren. Ich hatte mich im Dezember dort für eine Woche in einem schönen Hotel niedergelassen, um kreativ zu sein: ich schrieb Drehbücher für Dokumentarfilme. Als ich am Morgen das Hotel verließ und diagonal eine breite Prachtsraße überquerte, um an die Bushaltestelle zu gehen, spürte ich, dass mir jemand folgte. Die Geschichte ist ebenso einfach wie orientalisch: ein junger Mann stand dann neben mir und wartete mit mir auf den Bus. Er sagte, er hätte mich im Hotel gesehen, wo er in der Küche arbeite. Ein Bogen, den zu schlagen nur ein intelligentes Wesen fähig ist. Da er mit mir einstieg, unterbrach ich etwas später meine Busfahrt ruckartig, um ihn los zu werden. Er folgte mir sofort und lud mich zu einem Kaffee ein. Die Geschichte mit dem Bruder, der einen Teppichladen hat, habe ich ihm dann nicht ganz abgenommen. Er zog die Notbremse: könntest du mir 50 Dirham leihen? Ich gebe sie dir im Hotel heute Abend zurück. Sein Französisch war ganz passabel. Ich schaute ihn streng an und sagte: "wir beide wissen doch, dass du nicht im Hotel arbeitest, und die 50 Dirham kann ich dir nicht geben". Er verabschiedete sich schnell und ließ mich den Kaffee bezahlen. Fair enough! Ein wenig stolz war ich schon, solcher Anmache widerstanden zu haben.
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So, oder so ähnlich |
Dezember 2012, kurz vor Weihnachten: ich bummle durch die Wiener Innenstadt, im 1. Bezirk, und suche die Blutgasse, denn da werden wir bald wohnen. Ich spüre, dass ich von Unbekannt anvisiert werde. Jemand hat sich vorgenommen, mit mir in Kontakt zu treten. "Ach, bitt'schön, entschuldigen's, darf ich Sie was fragen?" Die junge Frau sah hübsch aus und war gut gekleidet. Große dunkle Augen schauten mich eindringlich an. Ich wollte dem nicht widerstehen und schaute sie erwartend an. Dann kam ihre Geschichte: ich komme aus dem Kosovo, habe zwei Kinder, bin seit 5 Jahren in Österreich und habe keine Arbeit. Verstehen Sie? Ich bete jeden Tag zu Jesus, dass er mir hilft. Jetzt kann ich meine Miete nicht mehr bezahlen. Verstehen Sie? Ihre schönen Augen fixieren mich. Ihr Deutsch ist fast lupenrein. Können Sie mir helfen. Ich bettle nicht, aber, ich benötige Hilfe. Sie wollte 200 €.
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Spendierhosen |
Nun musste alles schnell gehen. Ich überlegte, was ich sagen sollte. Fest begegnete ich ihrem Blick. Ich schaue auf ihre Schuhe, den Mantel, die Mütze: sehr elegant. Ich lächle sie eiskalt an und sage: sie machen das viel zu gut. Es tut mir leid, aber, Sie überzeugen mich nicht. Ich kann Ihnen nicht helfen. Sofort drehte sie sich um und veschwand so unbemerkt wie sie gekommen war. Meine Gefühle mischten sich zwischen Scham und Stolz. Ich stellte mir vor, sie hätte es geschafft, mir 200 € aus dem Ärmel zu leiern. Dann wäre ich mir wie ein rasierter Pudel vorgekommen. Andererseits: was sind wir für Menschen, die wir kein Ohr mehr für die Nöte der anderen haben. Als ich um das Viertel gegangen war, versuchte ich, sie nochmals zu sehen. Sie war nicht mehr auffindbar. Habe ich eine Chance verpasst, etwas Gutes zu tun? Zumal, jetzt vor Weihnachten, wo man überall die Armut mit Händen fassen kann. Ich hoffe nur, dass ich das Richtige getan habe. Sicher bin ich mir nicht!
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