Freitag, 27. April 2012

Dresden vor einem Jahr


Erinnerungen sind etwas schönes. 1962 hatte ich das weitgehend zerstörte Dresden gesehen. Mein Herz hat geblutet, dabei hatte ich mit Dresden nicht viel zu tun. Dann, im vergangenen Jahr fuhren Cath und ich dorthin: eine wiedererstandene Stadt kam uns entgegen, mit allem Charme einer kunstgeschwängerten städtischen Schönheit aus alten Zeiten. Das Elbflorenz, wie es schon immer genannt wurde, und das diesem Ehrentitel mehr als gerecht wird.

Die Buchhandlung Walther König im Residenzschloss bietet alles, was den Lesehungrigen interessiert. Im Antiquariat hatte ich seinerzeit aus Neugier Band II der Ausgewählten Werke des W I Lenin, ein wahrlich stattlicher Band von sage und schreibe 1063 Seiten, die ich für 6 Ost-Mark erstand. Es dauerte recht lange, bevor ich Zeit und Muse fand, darin zu schmökern. Das meiste könnte man heute als langweilige, unverständliche und bürokratische Ergüsse abtun, gäbe es nicht den gelegentlichen Hinweis auf die Realität, wie sie uns auch heute noch beschäftigt. Dagegen kann das Kapitel "Die revolutionäre Vaterlandsverteidigung und ihre klassenmäßige Bedeutung" getrost überblättert werden. "Die Nationalisierung der Banken" erweckt jedoch neues Interesse. Im ersten Absatz heißt es bereits: "Von einer 'Regulierung des Wirtschaftslebens' sprechen und die Frage der Nationalisierung der Banken umgehen, heißt entweder krasseste Unwissenheit an den Tag legen oder das 'einfache Volk' mit hochtrabenden Redensarten und einem Schwall von Versprechungen betrügen, die man von vornherein nicht zu halten beabsichtigt" (Seite 96, Dietz Verlag Berlin, 1959). Solche Rede könnte auch heute den Redeschwall mancher Banken beflügeln. Dass das 1959 erschienene Werk schon 1962 im Antiquariat angeboten wurde, spricht Bände. Für 1 DM-Ost erhielt ich also den Gegenwert von 177 Seiten Lenin. Preiswert, preiswert!


Als ich letztes Jahr in der Buchhandlung war, ging es da unpolitischer zu. Ich fand ein bemerkenswertes Büchlein, in dem ich vor dem Einschlafen immer wieder blättere. Nur 235 Seiten haben mich harte 14,99 € gekostet: "Taschenatlas der abgelegenen Inseln" von Judith Schalansky, die Seite also für etwas mehr als 6 Cent. Dafür kann ich Judiths "Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde" nachlesen und mich an der Mischung von Tatsachen und eingebildeten Fantasien ergötzen. Zum Beispiel, die Rudolf-Insel, (russisch: Ostrow Rudolfa), 297 km2, total unbewohnt, mit einem Berg, der 461 m hoch ist. Die Insel(Gruppe) wurde 1874 während einer österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition von Julius Payer und Carl Weyprecht entdeckt und inselt nun etwa 600 km östlich von Spitzbergen so vor sich hin.

Andererseits könnte man sich für die wärmere Osterinsel interessieren, die zu Chile gehört und auf der 3791 (???) Einwohner leben, die ihre Insel gerne "Nabel der Welt" nennen. Die Hauptstadt nennt sich Hanga Roa. Dort soll vorerst keine U-Bahn gebaut werden, wegen der hohen Kosten. Oder, für die ebenfalls wärmere Weihnachtsinsel, diesmal mit 1402 (???) Einwohnern. Hauptort ist Silver City. Dort weiß man alles über die gelbe Spinnerameise, die zu den hundert schädlichsten Schädlingen gehört. Die besitzt die Frechheit, sich eigene Schildlauskolonien anzulegen, von denen sie leben. Brrrrrr! Was es nicht alles gibt.






Donnerstag, 26. April 2012

Frauen als Priesterinnen

Ich sage es gleich: einfach ist diese Diskussion nicht, vor allem, wenn es darum geht, Frauen in der katholischen Kirche die gleichen priesterlichen Weihen angedeihen zu lassen wie Männern. Anders wäre alles verlaufen, wenn die als Mann verkleidete Deutsche namens Johanna tatsächlich als Päpstin in die Geschichte eingegangen wäre. Diese Legende aus dem 9. Jahrhundert ist mehr als fraglich, auch wenn die Kirche selbst zeitweilig daran geglaubt hat.


Wir schreiben das Jahr 2002. Am Morgen hat ein Donaudampfer in Passau abgelegt und fährt mit seinen Passagieren in Richtung Linz. An Bord befinden sich einige Frauen, sowie ein exkommunizierter Priester, der sich selbst Bischof nennt. Er stammt aus Lateinamerika und heißt Romulo Braschi. Gegen Mittag tut er es, allen kirchlichen Beschwörungen zum Trotz: er weiht 7 Frauen zu Priesterinnen, 4 Deutsche, 2 Österreicherinnen und eine US-Amerikanerin. Die Reaktion kommt unvermittelt: Mummenschanz und Sektenschwindel.


Ich wäre ganz schön unverfroren, wenn ich mich jetzt auf einen theologischen Wettlauf mit wohlgeeichten Gelehrten einlassen würde. Jahrhunderte alte Diskussionen haben gezeigt, dass dies nichts nützt. Die Positionen sind nach wie vor unverrückt. Oder soll man sagen: verrückt? Wieso kann eine Frau nicht Priester werden? Weil Jesus das nicht wollte? Da kann es sich nur um Humbug handeln. Nach seiner Auferstehung ging der Herr zuerst zu den Frauen, bevor er sich seinen (männlichen) Aposteln zeigte. Und sollte der schmächtige Johannes in Wirklichkeit eine Johanna gewesen sein, wen würde das heute jucken? Es geht nicht darum, theologische Denkmäler, eines nach dem anderen, umzustoßen, sondern schlicht darum, dass Frauen, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, eigentlich alles können. Alles andere ist Unsinn. Schließlich gibt es Frauen als Präsidentinnen, Kanzlerinnen und Ministerinnen zuhauf. Statt verknöchert auf alten Positionen zu beharren, würde manchen männlichen Würdenträgern etwas mehr Menschenverstand gut zu Gesicht stehen. Und es gäbe ein Problem weniger, denn, yes, we can.

Mittwoch, 25. April 2012

Afrika, grausame Brüderlichkeit


Ich kenne Afrika kaum. Einige wenige Länder habe ich bereist. Einmal, in Kamerun, ich war mit meiner Tochter unterwegs, die in einer Buschklinik arbeiten wollte, gerieten wir während der Regenzeit in einen Platzregen. Das war in Ngaundere, im Norden des Landes. Wir hatten natürlich einen Schirm dabei und benutzten ihn auch. Da kam ein älterer Herr auf uns zu und bat uns um den Schirm. Ich erzählte ihm in einem brüderlichen Ton, dass ich 20 Kinder zu ernähren hätte, woraufhin er uns mit dem Schirm weiterziehen ließ. Fast typisch für Afrika ist, dass alte Menschen nicht wie potenzielle Trottel, sondern wie Respektspersonen behandelt werden. Anders konnte ich mir die Dreistigkeit des Alten nicht erklären.

Im 19. Jahrhundert erst, erkannte ein deutscher Missionar, der aus Afrika kam, dass Afrikaner auch Menschen sind. Im Ernst. Davor, und noch lange danach, hielt man die Schwarzen für eine Art minderbemittelte Rasse von Halbmenschen, oft nicht einmal zum Dienen geeignet. Landarbeiter ja, Rechte, vor allem Menschenrechte, nein. Ein trauriges Kapitel der weißen Überheblichkeit. Diese nährt sich heute immer noch an den chaotischen Zuständen in manchen Ländern, wo gemordet, vergewaltigt, erpresst und unterdrückt wird. Andererseits gibt es keinen Kontinent, auf dem die menschliche Nähe, das Miteinander so groß ist, wie in Afrika. Grausamkeit und Brüderlichkeit zugleich. Dass Kleinkinder auf den Rücken der Mütter herumgeschleppt werden, dass Mütter und Mädchen neben der harten täglichen Arbeit noch zusammen tanzen und singen können, ist typisch afrikanisch.


                                                   Gemalt von Horst Köbele


Was machen wir mit einem solchen Kontinent, der Hilfe benötigt, und den die Ausbeutung jeder Art noch näher an den Abgrund führt? Die ehemaligen Kolonialmächte, zu denen auch Deutschland und Italien gehören, sollten neben den üblichen Lippenbekenntnissen alles tun,
um diesem Kontinent endlich zu seiner wahren Bestimmung zu verhelfen: wirtschaftliche und medizinische, sowie politische Verbesserungen bis hin zur letztendlichen Prosperität. Dazu könnte eigentlich nur eine längere, umfassende Afrikakonferenz verhelfen, die mit finanziellen Garantien, massiven Gesundheitsprogrammen und politischen Stütz- und Entwicklungskonzepten vorgehen kann. Afrika ist unter anderem auch ein Hort der Menschlichkeit. Geben wir den Afrikanern, was wir vor Jahrhunderten schon geraubt haben: Seine Selbstachtung. Dann wird auch Schwarz wieder zu einer normalen Hautfarbe.

Dienstag, 24. April 2012

"Shitstorm" oder die Anonymen Anmacher

Jetzt haben wir den Salat: Wer die Bildzeitung eine "Dreckschleuder" nennt, kann damit rechnen, dass gar nichts passiert, denn das millionenschwere Kampfplatt würde sich hüten, solches als Beleidigung zu würdigen und dagegen vorzugehen. So etwas übersieht man großzügig, wie auch manche Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens, denen man mit Provokationen unter die Haut geht, eher mit Stillschweigen reagieren. So auch die katholische Kirche, wenn allzu Skandalöses bekannt wird. Ein Shitstorm, hingegen, scheint etwas anderes zu sein. Eine anonyme Empörung, die sich durch beleidigende, oft humorlose Attacken, gegen Menschen und Einrichtungen Luft macht. Er kommt schnell, geht auch wieder schnell und hinterlässt nicht immer Schäden. So hat Günter Grass den Wutausbruch der israelischen Seite, der deftig war, bis jetzt wohl gut überstanden. "Si tacuisses..." wäre für beide Seiten das Bessere gewesen. Die Reaktionen auf sein Gedicht waren hysterisch.


                                                      In die Fresse damit!


Man hat sich immer schon gewundert, wie gelassen amerikanisches und britisches Publikum Filmprodukte hinzunehmen scheint, in denen das Wort "fucking" so häufig vorkommt wie der verbale Durchfall bei einem Hassprediger. Und jetzt dieser fucking new Anglizismus, "Shitstorm". Die digitale Öffentlichkeit lässt die Sau raus. Solange es um Revolutionen in fragwürdigen Politsystemen geht, schauen wir mit Begeisterung zu. Wenn aber der elektronische Volkszorn in pornographische und menschenverachtende Beleidigungen ausbricht, bekommen wir es mit der Angst zu tun. Zurecht kann man solches meist als geistigen Dünnschiss bezeichnen. Ein Kernchen Wahrheit? Warum nicht? Es ist zu vermuten, dass der Shitstorm (ich würde es auf Deutsch mit "Internetkotze" übersetzen) sich bald wieder legen wird, wenn nämlich herauskommt, dass diese anonymen Wutkünstler sich selbst gerne mit Dreck bekleckern, oft, wie bei kleinen Babys, ohne es selbst zu bemerken. Oh, was für eine Scheiße!

Montag, 23. April 2012

Reinheit und strahlender Glanz

Es geht hier nicht um die Argumentation von Politikern, die sich um unsere Umwelt verdient machen wollen. Nein, kompakte Sauberkeit wünschen wir vor allem unserem Geschirr, das nach dem Frühstück, Mittag- oder Abendessen mit Resten beschmiert in die Spülmaschine kommt, die heute fast jeder besitzt. In der Gebrauchsanweisung heißt es da, pro Spülgang 1 Tablette verwenden, bei Berührung mit den Augen sofort gründlich mit Wasser abspülen und einen Arzt konsultieren. Darf auch nicht in die Hände von Kindern gelangen. Eine hochgefährliche Angelegenheit also.




Seit Jahren bin ich zu Hause der Maschinist, der genau obiges unternimmt, wann immer die Maschine wieder zu füllen ist. Sitzen die Teller, Gläser und Schüsseln einmal schön geordnet im Spüler, schreite ich zur Entnahme eines Geschirr-Reiniger-Tabs, was mich dann mit dem Hochgefühl erfüllt, dass, wenn ich den bereits wartenden Knopf gedrückt habe, in einer halben Stunde das Geschirr blitzsauber wieder zu entnehmen ist. Nun geschah etwas, was mich immer noch raten lässt: Meine Tochter, eine gestandene, sehr praktisch veranlagte Mutter und Hausfrau mit stressigem Beruf, beobachtete mich, anlässlich eines Blitzbesuches, beim Einlegen einer Spültablette und gab mir den Rat, zu sparen: Vater, wenn du die Tab halbierst, wird das Geschirr genauso sauber und du reduzierst so die Kosten. Seit einiger Zeit praktiziere ich das mit großem Erfolg.

Das System schlägt zurück. Ich stelle fest, dass die Tabs auf einmal so steinhart geworden sind, dass ich einen Hammer benutzen muss, um die Tabs zu halbieren. Wie soll da ein altes Mütterchen zurechtkommen, wenn sogar für mich die Kräfte der Hand nicht ausreichen? Ich wittere einen fiesen Gegenzug der produzierenden Firma. Anders kann man sich die Verhärtung der Tabs nicht erklären. So reagiert man auf mögliche Gewinneinbußen, denn eines ist sicher, unter Hausfrauen hatte sich schnell herum gesprochen, dass Tabs geteilt werden können. Jetzt ist mir etwas Neues eingefallen: ich drittele die Tabs mit dem Hammer.
Damit habe ich den Beweis angetreten, dass ein Dritteltab, so man es schafft, ihn mit einem Werkzeug zu zerteilen, genauso gut Geschirr wäscht wie ein steinharter Großtab. Geschirrspüler aller Länder, rottet euch zusammen und merkt euch das!

Samstag, 21. April 2012

BILD wird sechzig - ich schäme mich

Es kommt selten vor, dass man sich fremdschämt. In diesem Fall tu ich das seit Jahren. Boulevard-Zeitung? Dreckschleuder? Sensationsblatt? Hetzblatt? Käsblatt? Man kann sich aussuchen, wohin der geschmackliche Wind bläst. Tatsache ist, dass dieses Blatt von Anfang an die eigene Pressefreiheit dazu benutzt hat, Emotionen auszulösen, dem angeblichen Volksempfinden aufs Maul zu schauen und am politischen Rad zu drehen. Gefährlich für die einen, die nicht nur mit dem Fahrstuhl hinauf, sondern auch gerne wieder hinuntergefahren werden. Christian Wulff ist einer von denen. Unverdient schmeichelhaft für die anderen: Von und zu Guttenberg wurde in unkritischer Weise bis zuletzt oben gehalten. Nibelungentreue? Günter Wallraff hat schon vor Jahren zu den BILDmethoden alles gesagt.




Als ich als Werkstudent und Straßenbahnschaffner arbeitete, sah ich, wie schon am frühen Morgen die 10-Pfennigpostille wie eine Droge den Verkäufern aus der Hand gerissen wurde. Später dann, beim Zahnarzt, konnte man das Blatt auch kostenlos lesen. Ich kaufte die BILD, als sie einmal pompös titelte: Wird Elisabeth Königin von Europa? Das beunruhigte mich als Republikaner. Zehn Pfennige für eine exklusive Information, warum nicht? Und in der Süddeutschen hatte ich davon nichts gelesen. Das Ergebnis meiner Lektüre war, dass der Elefant eine journalistische Maus geboren hatte. Eine Totgeburt, die aus den Fingern gesaugt war. Seit nunmehr 60 Jahren, eine von unzähligen Luftblasen. Daraufhin ignorierte ich das Blatt, und komme mir deshalb noch immer nicht ungebildet vor.

Auch mit Kampagnen kann man sich in die Herzen der täglich 12 Millionen Leser einschleichen: Ein Herz für Kinder. Wer möchte da nicht dabei sein? Auch die unsäglich aufreizenden Busen, wer will da nicht hinschielen? Nein, ich finde keine lobenden Worte für dieses Erzeugnis. Ich kenne andere Blätter in anderen Ländern, die genauso vorgehen: das blinde Huhn kann natürlich auch mal ein Korn finden, aber dafür ist echter Journalismus viel zu schade. Scheinheilige Empörung, nasswarmes Mitgefühl, Tatsachen als Aufputschmittel. Auf die Wahrheit, auf die Realität und die umfassende Information kommt es an, nicht auf das sensationsgierige Aufblasen von kleinen Mäuschen. 60 Jahre sind 60 Jahre zu viel.

Der Wahlkampf läuft

Wir wünschen allen die nötige Kraft und Herrlichkeit für die letzten Anstrengungen. Wer wird gewinnen? Wird der Gegner noch mehr Fehler machen? Können wir unsere Aussagen so kostenneutral wie möglich gestalten? Was geschieht, wenn am Wahltag schönes Wetter ist? Die Franzosen haben es da etwas leichter: am ersten Wahltag kann man die Sau rauslassen und den bestrafen, den man im zweiten Wahlgang dann doch wählt. Ein wenig hinterhältig ist das schon. Für populistischen Aufputsch ist da viel Platz. Mögen unsere französischen Nachbarn den Präsidenten bekommen, den die Mehrheit letztendlich verdient.

Bei NRW und Schleswig-Holstein ist das anders: da muss schon am ersten Wahltag solide gewonnen werden. Eine mehrheitsfähige Regierung für das Bundesland, das denen in Berlin zeigt wo der Hammer hängt. Da tauchen Kandidaten auf, die schwups wieder in die Bundespolitik abtauchen, wenn sie ihr Wahlziel nicht erreichen. Die Auswirkungen dieser nächsten Landtagswahlen können verheerend sein. Oder wird es wieder so, dass der Elefant ein Mäuschen gebiert, das nach dem Sturm seelenruhig im Wasserglas sitzt? Also alles beim alten bleibt? Als Beobachter wünscht man den einen, dass sie es schaffen, den anderen, dass sie die Hürde (nicht) nehmen.




Warum soll man als Wähler nicht auch etwas populistisch sein und nicht gleich verraten, was man eigentlich möchte? Die Wahlen sind frei und geheim. Die Spassmacher sind nicht so zahlreich, dass man Erdrutsche befürchten müsste. Die anderen werden sich ihrer Verantwortung bewusst, wenn sie in der Wahlkabine ihr Kreuzchen machen. Was dabei herauskommt, ist immer wieder mit großer Spannung verbunden. Am Wahlabend sitzen wir dann am Fernseher und studieren die ersten Hochrechnungen. Wer hat gewonnen? Hoffentlich die, die am wenigsten gelogen und Wind gemacht haben.

Freitag, 20. April 2012

Christlich-jüdische Wertegemeinschaft???

Man hört es immer wieder: der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Die konservative Befindlichkeitsmaschine sucht gerade jetzt wieder, in den Untiefen deutscher Seelen zu fischen, indem sie hinzufügt, unser Land sei eine "christlich-jüdische Wertegemeinschaft". Dagegen kann man sich nur entschieden verwahren. Dieser Unsinn taucht immer dann auf, wenn sich Politiker in der christlichen Ecke Gedanken über eine deutsche Leitkultur machen. Diese gibt es natürlich auch nicht. Man erinnere sich nur an das westfälische Bauernfrühstück, die bayrische Brotzeit mit Radi oder die Schwarzwälder Kirschtorte, sowie das äußerst unterschiedliche deutsche Volkliedgut als Elemente einer Wertegemeinschaft, die auch nichts mit dem Judentum zu tun haben.




Das macht jedoch nichts, denn der Islam kann genausogut an diesen Dingen teilhaben wie das Christentum. Ist es vielmehr nicht so, dass diese christlich-jüdischen Auguren etwas verwechseln? Man erinnert sich, wie einst die katholischen Eiferer erzählten, die Juden hätten Christus hingerichtet. Falsch, wie wir wissen. Er war selbst Jude. Im Mittelalter haben die Spanier die Muslime aus ihrem Land vertrieben. Die muslimischen Türken wurden vor Wien geschlagen. Konservative Politiker scheinen immer noch auf diesen alten Feindbildern herumzureiten. Da wird gerne ausgegrenzt wo es nichts zum Ausgrenzen gibt.




Andererseits scheint es manchen opportun, sich dem jüdischen Element im Christentum anzubiedern. Christlich-jüdisch ist hier gar nichts. Die Rivalität zwischen Katholiken und Protestanten ist uns noch vertraut. Die zwischen dem Christentum und dem Islam oder dem Judentum ist noch älter. Es wäre allerdings falsch, das Christliche in uns zu leugnen. Die europäische Gesellschaft ist zutiefst christlich geprägt, ob man es will oder nicht. Der jüdische Einfluss innerhalb des Christentums ist unübersehbar. Aber rein statistisch (das soll nun auch nicht geleugnet werden) ist der Islam heute in Deutschland stärker vertreten als das Judentum. Heißt es deshalb, christlich-islamische Wertegemeinschaft? Das muss auch nicht sein. Warum können wir den christlich-jüdischen Unsinn nicht einfach lassen? Wir sind eine sehr komplexe Wertegemeinschaft, die für Christen, Muslime, Juden und alle anderen genug Platz bietet. Anbiederungen der obigen Art sind eher peinlich. Basta.

Donnerstag, 19. April 2012

Rote Rosen? Vielleicht stimmt die Farbe nicht.

Ja, es geht um die täglichen Soaps, die Seifenopern im Fernsehen, von denen es unzählige gibt. Der USAmerikanische Flimmerunsinn ist aus den Öffentlich-rechtlichen weitgehend verschwunden. Die Schauspieler waren einfach zu mies. Die Handlung einfach zu schwachsinnig. Der autofahrende, herumtelefonierende, I-love-you-too-Quatsch einfach zu groß. Schon lange gibt es auch bei uns hausgemachte Serien, mit ausgezeichneten Schauspielern, an denen eine treue Zuschauerschar täglich und total gefesselt hängt, wie an einer Lebensschnur. Lindenstraße - wer kennt sie nicht? Methusalem der Stadtteilunterhaltung. Die BBC hat ihre "East Enders" oder die "Coronation Street", die seit Jahren Teil der kulturellen Abfüllung jenseits des Ärmelkanals sind. Wir haben "Rote Rosen", "Sturm der Liebe" und warten auf die Wiederholung von "Wege zum Glück". Das Casting muss da Wunder gewirkt haben, denn bei "Wege zum Glück" sind schauspielerische Talente zuhauf am Werke gewesen. Besonders die böse Annabel hatte es mir damals angetan. Dass sie auch in anderen Produktionen auftaucht, beweist ihr Talent.


Wenn eine solche Serie in die Hunderte von Episoden geht, oder gar die Tausend überschritten hat, machen sich allerdings Ermüdungserscheinungen breit. Aus welchen Gründen auch immer werden Bösewichte abgezogen (manche müssen in den Knast, oder sie vergiften sich selbst), sich liebende Paare als Sympathieträger wandern nach Südafrika oder Italien aus. Es entstehen grausame Lücken, die nicht dadurch geschlossen werden können, dass der zurück gebliebene Onkel gelegentlich eine Postkarte, die Geburt eines Kindes oder einen Telefonanruf erwähnt. Was zurück bleibt, ist oft gähnende Leere. Es fehlt an neuen Ideen. Die Bösewichte müssen sich an ihren Vorgängern messen lassen, was ihnen meist nicht gut bekommt. Komm zurück, Annabel!




Aus gesundheitlichen Gründen hätte ich fast das Trinken aufgegeben. Das Rauchen ist schon lange kein Thema mehr und jetzt das: nachdem ich etwas reifer geworden bin und eine Pause eingelegt habe, gelingt mir das gelegentliche Reinschauen in eine der Soaps nicht mehr: die alten Bekannten sind alle ausgewechselt. Die Handlung ist eher flach. Die Bösen sind politisch korrekt geworden und langweilen sich und mich. Lieber rauche und trinke ich wieder, als dass ich mir diesen harmlosen Blödsinn weiter anschaue. Meine Zeit kann besser verbracht werden. Es kann natürlich sein, dass ich nicht auf dem Laufenden bin und keine Ahnung davon habe, wo die zur Zeit appetitlichste Seifenoper läuft. 

Mittwoch, 18. April 2012

Aladins Lampe

Aladin, Aladin, gieß' einen auf die Lampe, 'nen kleinen auf die Lampe......Du wirst dann alles doppelt seh'n. So oder ähnlich hieß es im albernen Lied. Zum Doppeltsehen kann man auch immer noch in Kaufhäuser und Möbelgeschäfte gehen. Da stehen sie reihenweise, die Scheußlichkeiten des nächtlichen Komforts. Ich rede von den Nachttischlämpchen, die so schön neben die Prunkbetten drapiert sind. Links eine und rechts eine. Schon als Junge habe ich versucht, mir vorzustellen, wer die Entwerfer von Nachttischlampen sind. Ich bin zu keinem guten Ergebnis gekommen, außer, dass es sich hierbei um eine ästhetische Bestrafungsaktion handeln muss.
Noch nie, noch gar nie, habe ich Nachttischlampen gesehen, die ich für meine Bettstatt ausgewählt hätte.


Dabei besitze ich das schönste Lampenwerk der Welt. An meinem Bett, seit bald 50 Jahren. Ich komme darauf noch zurück. Straßenlaternen sind auch Lampen. Ist schon mal aufgefallen, dass Kommunen, wenn die Haushaltslücke nicht allzu sehr klafft, sich daran machen, die Straßenlaternen zu erneuern? Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, erblickt Erstaunliches. Alle möglichen Lampen sind da aufgestellt. Man merkt es am ehesten bei Tage. Beeindruckend ist die Formvielfalt. Von Design möchte ich nicht sprechen. Manche weisen den gleichen Krankheitsgrad wie die Nachttischlampen auf. Verheerende kommunale Vorstellungen....


Meine Porschelampe 

Meine Bettlampe ist schwarz. Sie sieht nicht nach Bett aus, kann sich ausziehen (auf die gewünschte Länge) und zusammenklappen. Gedimmt kann sie auch noch werden, was meine neben mir Schlummernde mit Dankbarkeit erfüllt. Sie muss unglaublich teuer gewesen sein (die Lampe, natürlich!). Genau wie das Auto (das schönste der Welt), an dem man ästhetisch auch nicht herumkritteln kann. Beide tragen den selben Namen. Ein Geschenk, an dem ich jeden Tag Freude habe. Freunde haben sie mir geschenkt. Noch nie wurde das Glühbirnchen gewechselt. Sie arbeitet immer wenn ich im Bett liege und sie brauche. Wie ist das möglich? Es gibt eben doch noch Qualität. Auf diese Lampe habe ich noch nie einen gegossen.

Sonntag, 15. April 2012

Darf man eine Auszeit nehmen?

Oder ist das lediglich ein Synonym für die Pause eines Gescheiterten? Wenn Paare sich eine Pause beim Paaren gönnen, ist der Wurm drin. Wenn zwei Menschen in ihrer Beziehung von Auszeit sprechen, gibt es noch Hoffnung. Die Neuentdeckung des anderen kann durch eine Pause befördert werden. Man weiß oft erst, was man an einem nahestehenden Menschen hat, wenn er für einige Zeit unerreichbar ist. Es kann jedoch auch sein, dass die Auszeit die Erkenntnis bewirkt, es bei der Auszeit zu belassen. Aus und Ende.


                                                 Abwarten und Tee trinken


Auch das kann zu neuem Anfang führen. Mit der entsprechenden Vorsicht. Doch kommt man nicht darum herum, neu an etwas oder an jemanden zu glauben. Man muss also einerseits wissen, was man hat und was man verliert, andererseits, was man mit einem Neuanfang alles gewinnen kann. In der Bundesliga kann man ein Lied davon pfeifen. Aber nicht nur da. In (m)einem nicht allzu beschissenen Leben gibt es immer wieder Anfänge. Die führen immer zu auch unerwarteter Bereicherung. Die Verluste erscheinen dann in anderem Licht.




Wer in Rente ist, sollte das mit der Auszeit nicht allzu ernst nehmen, sonst wird daraus leicht eine Existenz mit mehr Gewicht, auf einem nicht mehr ganz neuen Sofa, Seifenopern kennenlernend, über den allbekannten Lauf der Dinge hadernd, ohne den notwendigen Neuanfang, den der Ruhestand mit sich zu bringen scheint. Auszeit bedeutet für mich dann nur, wenn alles aus ist. Ein wenig aus ist immer. Ein wenig neu ist immer öfter. Zögere nicht! 

Freitag, 13. April 2012

Der Bauch - ein Gefühl

Gehören Bäuche in den Intimbereich? Es gab eine Kampagne, die besagte: mein Bauch gehört mir. Das hatte seine Gründe. Es ging um Abtreibung oder das Recht dazu. Ein Nachbarknabe sagte schon als Kleinkind: mein Bäuchi. Das habe ich mir gemerkt. Wenn ich heute etwas liebevoll von meinem Bauch sprechen möchte (nein, es ist keine richtige Wampe), sage ich: Bäuchi. Mein Bäuchi tut weh. Mein Bäuchi ist voll. Mein Bäuchi will gestreichelt werden.


                                               "Abnehmen, mein Lieber!"


Dass vom Bauch vieles herrührt, weiß man. Bauchschmerzen, Bauchlandung, Bauchgefühl. Mein Bauchgefühl sagt mir immer wieder, wann es genug ist. Oder doch nicht? "L'amour du ventre", was der Franzose auch immer damit andeuten will, ist es die Liebe zum Bauch oder die Liebe des Bauches? Wir wissen es nicht. Hängt es damit zusammen, dass manche Bauchträger diesen mit unverhohlenem Stolz herumtragen? Ein leidenschaftlicher Hosenträger dürfte damit (den Hosenträgern) sein Problem haben. In der Mode ist Bauch manchmal angesagt, manchmal nicht. Nabelfrei nennt man das eine, Bauchtanz das andere. Oder nicht?

Wenn man von einer Gallenblasenentfernung nach Hause entlassen wird, tut der Bauch noch einige Zeit richtig weh. Bei der Laparoskopie werden mehrere kleine Löcher in den Bauch gebohrt, durch die Instrumente eingeführt werden. Der Operateur holt dann die Gallensteine heraus, zusammen mit der Blase, und erklärt die Operation für erfolgreich. Sind die Heftpflaster mal entfernt und die Schmerzen getilgt, kann man sich wieder mit freundlichen Gedanken dem Bauch zuwenden. Das musste einmal gesagt sein. So kann ich mich auch weiterhin auf mein Bauchgefühl verlassen. Aber, was macht König Dickbauch, wenn er Magenschmerzen hat? Er fragt seinen Leibarzt- oder Apotheker. Das kann jedoch schiefgehen.

Donnerstag, 12. April 2012

Grüß Gott, ich bin die Gallenblase

Es ist sieben Uhr morgens, ich melde mich in der Klinik an, um meine Gallenblase mit den Steinen operativ entfernen zu lassen. Die Gallenflüssigkeit fließt über die Vater'sche Papille in den Zwölffingerdarm und ist für die Fettverdauung wichtig. Das kann man verstehen. Die Gallenblase selbst wird nicht gebraucht. Also holt man sie raus. Wenn sie Gallensteine enthält, ist Vorsicht geboten. Später erhält man die Gallensteine als Souvenir mit nach Hause. Wenn alles gut geht, sagt der zuständige Arzt nach zwei bis drei Tagen, dass man wieder gehen kann.

Es geht zunächst alles gut: ich komme in ein Zimmer, in dem schon ein Patient liegt. Hallo, ich bin die Gallenblase. Und ich bin der Bypass, der auch noch an die Dialyse muss. Kaum habe ich mich in meinem neuen Bett eingerichtet, fährt dieses in ein anderes Stockwerk, wo die Anästhesie vorbereitet wird. Schnell bin ich so benebelt, dass ich nichts mehr merke. Als ich wieder aufwache, bin ich schon unterwegs in mein Zimmer, wo mich der Zimmergenosse mit gebührendem Respekt begrüßt. Leidgenossen unter sich.

Die Operation ist gut verlaufen. Mittels Laparoskopie wird im Bauchraum ein Fernsehstudio eingerichtet. Damit kann der Chirurg auf einem Bildschirm sehen, was da los ist. Die Gallenblase wird samt Inhalt entfernt. Ist man wieder bei Sinnen, liegt man im Bett und hat furchtbare Bauchschmerzen. Die Einnahme von Schmerzmitteln wird dringend empfohlen. Zum Essen erhält man erst mal nichts. Irgendwie lassen die Schmerzen nach, wenn man nicht lacht, hustet oder sich wenig bewegt. Man liegt ruhig in Erwartung des Schlafes.



                                                          Gallenblase???

Der Nachbar mit dem Bypass kann nicht schlafen. Unruhig wälzt er sich im Bett. Er hustet unaufhörlich, dann fängt er an zu schnarchen. Längst sind die Lichter aus. Die letzte Schwester hat ihre Spritzen und Infusionen getätigt. Das Schnarchen wird aggressiver. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Kurz vor meinem Einnicken wirft er sich vehement herum, stößt an Armaturen, sucht offensichtlich nach etwas Trinkbarem. Ich denke an alles Mögliche. Nur nicht an Schlaf. Gerädert versuche ich, den Nachholbedarf zu decken. Da ist die Nacht vorbei. Um 7Uhr30 beginnen die Umbauten in einem oberen Stockwerk. Eine Bohrmaschine ist deutlich zu hören. Auch Hammerschläge. So ein Krankenhaus ist gegen nichts gefeit. Doch ich erhalte ein Frühstück: ein Brötchen, eine Scheibe Graubrot, 15 g Butter, etwas Magerquark und Sauerkirschmarmelade. Dazu Kaffee. Krankenhauskaffee. Mein Nachbar weiß um seine lärmende Existenz. Er redet beruhigend auf mich ein. Ich versuche, zu verzeihen. Nach zwei Tagen habe ich es geschafft: Die Ärztin kommt und sagt, es sei alles in Ordnung. Ich könne wieder nach Hause. Zum Glück hat der Mensch nur eine Gallenblase.

Montag, 9. April 2012

Die Heuchelei des Westens

wurde von Günter Grass angeprangert, nicht der legitime Wunsch Israels, sich im Notfall zu verteidigen. Wer ist des ewigen Eiertanzes nicht überdrüssig, den die westlichen Medien und Politiker aufführen, wenn Israel lauthals verkündet, das Recht zu haben, gegen den Iran loszuschlagen? Immer wenn ein aggressiver Ton oder bemühtes Schweigen aus Israel zu hören ist, wundere ich mich über die Verschämtheit, mit der manche darauf reagieren. Soll es jetzt einem Deutschen, der vielleicht die Vernichtung der Juden durch die Nazis schon immer als ein unerhörtes Verbrechen gebrandmarkt hat, versagt sein, Kritik an der israelischen Politik  zu üben?
 





Wer die israelischen Befindlichkeiten kennt, sollte also folgende Themen aussparen: deutsche Lieferung eines U-Bootes an Israel, sichtbare Zurückhaltung des amerikanischen Präsidenten, als Netanjahu neulich in Washington gegenüber dem Iran mit dem Säbel rasselte, Einreiseverbote für Politiker, die aus humanitären Gründen den Gaza-Streifen besuchen wollen? Die von Israel diskret aufgelegte Tabu-Liste ist inzwischen so groß, dass es eigentlich nur noch echt empörte Reaktionen darauf geben sollte. Wundert man sich, dass Günter Grass (es dürfte auch ein mutiger Politiker aus einem westlichen Land sein) in einer etwas skurrilen Art der Kragen geplatzt ist? Nein, man hat Sorge, die israelische Regierung zu verärgern. Da stimmt doch etwas nicht.

Gibt es jemanden, der das gutheißen kann, was der Iran seit Jahren vor aller Augen treibt? Aber selbst die Vereinigten Staaten wollen da nicht mit dem Feuer spielen. Hat Israel das noch nicht bemerkt? Das betretene Schweigen westlicher Freundesländer, wann immer Israel internationale Regeln verletzt? Noch ein Wort zu Eichmann, der damals vom israelischen Geheimdienst entführt und in Israel zum Tode verurteilt wurde: Die Entführung war nicht legal, aber unendlich gerecht. Die ganze Welt hat sich darüber gefreut und Genugtuung empfunden. Trotzdem bleibt der Spruch "Auge um Auge, Zahn um Zahn" zutiefst unchristlich. Wenn Israel sich in der Wahrnehmung seiner Interessen seit Beginn seiner Existenz als Staat über viele Regeln einfach hinwegsetzt, dann darf das auch von einem deutschen Nobelpreisträger, der sehr verspätet bekannt hat, dass er mit 17 in der SS war, kritisiert werden. Schließlich hat Günter Grass als Erwachsener immer wieder bewiesen, wie menschlich korrekt seine Ansichten sind. Fast empfindet man das hysterische Einreiseverbot als eine Auszeichnung. Das heutige Israel muss ich nicht lieben. Heißt das aber auch, dass ich Antisemit bin? 

Sonntag, 8. April 2012

Osterspaziergang

Ich ging im Walde so für mich hin, um nichts zu suchen, das war mein Sinn. Wer hat das eigentlich geschrieben? Ich krieg' es nicht mehr auf die Reihe. Was ich jedoch heute früh kapiert habe, war, dass nach Tagen grauer Nebelschwaden, trotz der unleugbaren Kälte, die Sonne anfing zu scheinen. Das Frühstück geschah in der Morgensonne, ein Freund sagt mir am Telefon, er müsse Spargeln schälen. Wir freuen uns. Im Radio sagt dann ein Berliner Erzbischof, wir seien eine christlich-jüdische Wertegemeinschaft. Gut, ich erwarte keine weiteren Erklärungen dazu. Es hat sich so eingespielt, von dieser Wertegemeinschaft zu sprechen. Ich denke mir meinen Teil.




Etwas sehr schönes ist das Eiersuchen. Doch mussten wir erfahren, dass gekaufte und bemalte oder gefärbte Ostereier im hohen Maße aus Bodenhaltung stammen. Was für eine tolle Idee, an Ostern solche Eier auf den Markt zu werfen. Das gibt zusätzliche Pluspunkte für Aktionäre und ihre Käfighalter. Man muss es eben den Energiekonzernen nachmachen. Nach den Feiertagen (aber nicht zu früh, wegen der Heimreisenden!) können dann die Spritpreise wieder etwas nach unten klettern. Zum Glück ist das Wetter heute im Schwarzwald so gut, dass wir den berühmten Osterspaziergang machen können. Das Auto hat zuhause zu bleiben.

Mittwoch, 4. April 2012

Baden, wir lieben dich!

Nun, so einfach ist es nicht. Erst müssen wir bestimmte Badens aussortieren, Baden bei Wien, Baden in der Schweiz. Baden-Baden, die Bäderstadt in Baden. Alle sind sie schön. Und vornehm. Sicher gibt es in Amerika, wie wir den Laden kennen, auch noch dutzende Badens. Die sogenannten Caracässler, die sich in Venezuela niedergelassen haben, weil sie im Kaiserstuhl ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten konnten, sollen einmal nicht mitgezählt werden. Aber, wir müssen uns fragen, warum 1849 so viele Badener meist nach Amerika auswanderten.




Doch zunächst fragen wir uns, was ist ein Badener? Einer, der schon 70 Jahre in Berlin Charlottenburg lebt und, wie meine verstorbene Tante einen badisch-berlinerischen Zungenschlag entwickelt hat, sodass sie gerne gefragt wurde: sind sie Badenser? Diese Frage bringt jeden Badener auf die Palme. Wütend wird er jedoch, wenn er mit Schwaben gleichgesetzt wird. Amadeus Siebenpunkt ("Deutschland, deine Badener") brachte es einmal so auf den Punkt: Jemand, der nördlich des Mains für einen Schwaben gehalten wird, ist ein Badener. Für mich kommt jedoch eher eine gastronomische Komponente hinzu: Wer badische Schneckensuppe isst, etwas von der badischen Dampfnudel versteht, und den badischen Sauerbraten nicht verschmäht, der ist im Badischen zuhause, egal, ob er echt oder unecht ist.




Das Naturell des Badeners ist sehr unterschiedlich: aufbrausend, bis zur Bereitschaft, eine Revolution auszulösen, milde und gesprächig bis zur Selbstaufgabe. Die im Odenwald und in der Kurpfalz fallen durch große Menschenfreundlichkeit auf. Sie sind gesellig und lieben alle Arten von Festen. Die aus dem Hotzenwald können störrisch und abweisend sein. Man muss ihnen mit Vorsicht, jedoch ohne Angst begegnen. Allen ist gemeinsam, dass sie Omas Küche schätzen, und bei Kirschplotzer oder Schwarzwälder Kirschtorte ausrasten, vor Wohlbefinden. Den Spargel, der zu frühsommerlichen Orgien führen kann, haben wir noch nicht erwähnt. Wie so vieles, haben wir den Wein ursprünglich von den Römern, von denen auch die attraktiven badischen Frauen abstammen, die, leicht aber angenehm mollig, mit großen dunklen Augen ein Feuer andeuten, das sie unter Umständen dann gar nicht haben. Badisch sein, grenzt nicht aus, sondern lädt ein. Zum Essen und Trinken. Der Elsässer, und im weiteren Sinne, der Franzose, hält sich gerne an der badischen Küche schadlos, die auch noch etwas preiswerter ist. Das wissen auch viele Württemberger, die in Scharen ins Ländle einfallen um sich zu laben.



Der badische Hitzkopf. Fast hätte er Deutschland für immer in Aufruhr versetzt. Der Markgraf von Baden, der einer Seitenlinie der Herzöge von Zähringen entstammt, hat das "Mark" einfach der italienischen Mark Verona entnommen, die damals von den Zähringern regiert wurde. Der Markgraf von Baden ist also nur ein Graf von Baden. Das moderne Baden entstand unter Napoleon, Anfang des 19. Jahrhunderts, denn es wurde napoleonisches Protektorat. Der Vorteil war, dass Baden erhebliche Gebietserweiterungen verzeichnete, links- und rechtsrheinisch. Es wuchs auf ein Vielfaches seiner ursprünglichen Größe. Auch der schöne Breisgau (noch zu Vorderösterreich gehörend) ging 1805 beim Frieden von Pressburg an Baden. Unschön war, dass bei der Völkerschlacht bei Leipzig Baden an der Seite Napoleons kämpfen musste.





Im übrigen ist die badische Geschichte ein einziges Chaos. Historiker und Märchenerzähler sollen sich damit herumschlagen. Hier geht es darum, wie es dazu kam, dass Baden Republik wurde, Monarchie war und dann Anhängsel eines Bundesstaates namens Baden-Württemberg wurde. Dabei sind wir auch heute noch mit Rheinland-Pfalz echt befreundet, ohne den dortigen Saumagen über den grünen Klee loben zu müssen. Wie gerne hätten wir uns mit Rheinland-Pfalz vereint. Baden wurde ein modernes Land, als es den Rhein schiffbar gemacht bekam. Das war ab 1815, Vater Tulla. Dann wurde in den Vierziger Jahren die Eisenbahn gebaut. Baden erwachte. Ein erster republikanischer Umsturzversuch, durch Friedrich Hecker, Gustav Struve und Georg Herwegh angezettelt, wurde durch Bundestruppen, ein zweiter Versuch, etwas später, durch preußisches und württembergisches Militär niedergeschlagen. Die Badische Revolution von 1948 machte Baden faktisch zur Republik. Es gab Verhaftungen und Erschießungen, standrechtlich, wie es sich gehörte, 23 an der Zahl. Dann wanderten etwa
5% der Bevölkerung, über 80000 Badener, nach Amerika und in andere Regionen aus. Im Dritten Reich haben nur wenige Schwarzwälder mit "Heil Hitler" gegrüßt. Grüß Gott sagte man lieber.

Es steht unserem Ländle also gut zu Gesicht, wenn es gelegentlich etwas aufmüpfig ist. Wer weiß, vielleicht wird auch einmal wegen der unverschämt hohen Benzinpreise über Ostern der badische Volkszorn ausbrechen. Der erste bundesdeutsche Grüne als Ministerpräsident könnte da ja mit gutem Beispiel vorangehen. Es lebe die Badische Revolution.