Jetzt kommt dieser unsägliche Raum in der Berliner Friedrichstraße zu späten Ehren, der Tränenpalast. Er wird zum Museum. Wie oft habe ich gegen Mitternacht in diesem kafkaesken Warteraum auf die entwürdigende Behandlung durch die Grenzbeamten der DDR gewartet. Endlich saß man in der S-Bahn nach Westberlin. Der verwaiste Bahnhof Lehrter Straße war ein erstes Zeichen von wiedergewonnener Freiheit. Am Bahnhof Zoo stieg ich dann wieder aus.
Oft hatte mich der Weg nach Ostberlin geführt, einen Freund zu treffen, der aus der Provinz angereist kam. Wir hatten eine gemeinsame Großmutter erfunden, die mal wieder krank war und besucht werden musste. Das Datum war klar, meine Ankunftszeit am Bahnhof Friedrichstraße war etwas unbestimmt, bedingt durch die Warteschlangen bei der Einreise. "Machen sie das Ohr frei" sagte einer unfreundlich und versuchte, staatstragend zu schauen. Man fühlte sich rechtlos und war froh, wenn man die oft stundenlange Prozedur hinter sich hatte. Peter wartete unfehlbar am Eingang zum Bahnhof. Er war nicht der einzige, der wartete und jemand traf. In Ostberlin selbst herrschte dann wieder die "Freiheit" der Anonymität. Alles konnte nicht überwacht werden. Das erste Bier mit Peter war gut und billig. Neben der Freude, sich wieder zu sehen, stellte sich schnell die triste Betrachtung der Lage ein. Wolf Biermann durfte nicht mehr öffentlich auftreten. Zeitschriften durfte man nicht mitbringen. Mit dem zwangsumgetauschten Ostgeld konnte man gerade ein paar tschechische Schallplatten kaufen, vielleicht noch einen Kaffee von einer unfreundlichen Bedienung erstehen. Schnell kam man auch mit denjenigen ins Gespräch, die offen ihren Unmut über die Lage äußerten. Ich wurde schon an meiner Körpersprache und durch die randlose Brille als Westler erkannt. In den Straßen stank es eigenwillig nach schlechtem Benzin.
Dann geschah es: nach zahlreichen Besuchen in Ostberlin, ich hatte mich gerade von Peter verabschiedet, denn es war Zeit, vor der nächtlichen Schließung der DDR wieder in den Westen zu gelangen, wurde ich gefilzt. "Leeren sie alle Taschen. Was sind das für Telefonnummern? Öffnen sie ihren Geldbeutel", wurde ich angeherrscht. Die erfundene Nummer unserer erfundenen Großmutter konnte im Stress des Filzens nicht überprüft werden. Keiner besonderen Schuld bewusst, außer der Tatsache, dass man eigentlich kein Recht hatte, in den Osten zu gehen, zeigte ich meine Börse. Was sah ich da? Ich fand tatsächlich einen Dollar, den ich wegen seiner Bedeutungslosigkeit bei der Einreise nicht deklariert hatte. Meine fadenscheinige Ausrede, ich hätte das vergessen, wurde nicht richtig gewürdigt. Ich sah mich im Gefängnis, zumal noch eine Leibesvisitation dazu kam, die allerdings nichts ergab. Kleinkarierte Bürokraten, dachte ich, war jedoch sehr besorgt. Ich musste ein Protokoll unterzeichnen und gestehen, dass ich mich eines Devisenvergehens schuldig gemacht hatte. Nach Mitternacht kam ich in Westberlin an und wusste, dass ich erst mal nicht mehr in den Osten reisen konnte. Mein Verbrechen hätte mich bei der geringsten Rückfälligkeit in ein Gefängnis gespült. Rechtlos und wehrlos, wie man eben in der DDR war.
"Ich bin ein Berliner"
Auf den Palast der Republik sollte man in diesem Zusammenhang auch zu sprechen kommen. So widerlich sah dieser goldglänzende Kasten ja nicht aus. Glas und Beton, mit der entsprechenden Dosis Asbest. Also wurde abgerissen. Jetzt warten wir auf das nostalgische Wiedererstehen des Berliner Schlosses. Dazu möchte man nichts sagen. Als ich im Januar 1990 mit einer europäischen Delegation höflich in den Balaschd dr Reböblig eingelassen wurde (einen kurzen Blick auf meinen Pass hat es schon noch gegeben, mehr nicht), da schwellte sich mir die Brust: nach allen Demütigungen und gravitätischen Zurechtweisungen durfte ich in den Palast und mit ungehinderter Sicht auf das entfernte Charlottenburger Schloss mein Glas Sekt trinken. Charlottenburg war zu Königs Zeiten noch kein Stadtteil Berlins, sondern ein reizvolles Jagdgebiet. Dann wurde der Palast zum Schauplatz hunderter Kameras, als im März 1990 die ersten freien Wahlen stattfanden. Ich durfte dabei sein. Die Geschichte hatte auch mir damit einen Triumph beschert. Und Peter durfte noch vor dem Mauerfall in den Westen machen. Unsere Freundschaft, aus der deutschen Teilung geboren, ist auch heute noch unerschütterlich.
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