Freitag, 16. Dezember 2016

Die Frau ohne Bauch.

ist wie ein Himmel ohne Sterne, sagen die Araber. Wo ist die Frau in unseren Breiten, die ein sichtbares Bäuchlein haben möchte, ohne schwanger zu sein? Schon der Bikini verbietet das. Ich persönlich habe solche Rundungen immer mit besonderer Sympathie betrachtet. Und, warum werden in manchen Ländern, die nicht gerade zu unserem Kulturkreis gehören, dem Mann bis zu 7 Kamele angeboten, wenn er sein adrettes Mädel abzugeben bereit ist?  Allerdings mit dem orientalischen Bäuchlein, das den Bauchtanz zum Festival werden lässt.


Männer sind auf diesem Gebiet etwas unergründlich. Einerseits wollen sie gerne in Begleitung gertenschlanker Schönheiten gesichtet werden, andererseits führen manche überaus gemütliche Zweierbeziehungen mit walrossartigen Wesen. Oft sind sie selbst enorm, was den Grad des Partnerglücks eher noch steigert. Ein Vorzeigemann für stattliche Beleibtheit ist unser beliebter Rainer Hunold, der Held von Ein Fall für Zwei. Er ist ein bekennender Rundling, ein Pfundskerl, bei dem man nicht auf die Idee kommt, seine Leibesfülle könnte ihn oder andere stören.


Etwas anderes ist die Dickleibigkeit, die Adipositas, die mehr als Krankheit, und weniger als erfreuliche Fülle empfunden wird. Bei Kindern schon führt sie zu Hänseleien, als ob Schlankheit ein Wert an sich wäre. Bei Erwachsenen Menschen kann Adipositas ein Problem des Wohlbefindens sein. Manche Dicke leiden unsäglich. Ihre Gesundheit (und Lebenserwartung) ist in Gefahr. Andere schämen sich und unterlassen vieles, was den Schlanken vorbehalten scheint. Ursachen gibt es viele: übermäßiges Essen, zu süße Getränke, Bewegungslosigkeit, usw.

Dennoch muss man annehmen, dass das Schönheitsbild unserer Gesellschaft das Bild total verzeichnet. Warum sollen eine hübsche unschlanke Frau und ein stattliches Mannsbild nicht trotzdem ein schöner Anblick sein? Wer in den Modeblättern die blasierten Mienen von Models sieht, ihre Taillen begutachtet, wird schnell von Übelkeit ergriffen. Dick muss nicht monströs heißen. Fett hat auch einen genüsslerischen Wert.


In den Industrieländern liegen die Dicken, in Deutschland bei um die 14/15 %, in England ist es ähnlich. Die USA sind schon etwas weiter, und die Schwellenländer holen auf. Als Kind sah ich in Karlsruhe in einem Zirkus die Dicke Berta. Sie hatte so mächtige Oberschenkel, dass ein Zuschauer ihr einen Militärgürtel umlegen durfte, der auch auf dem weitesten Loch den Schenkel nicht umschließen konnte. Sie benötigte zum Sitzen drei Stühle, was mich sehr beeindruckte.

1800: Dickster Mann der Welt 
Die dicksten Menschen der Welt sind vielleicht nicht die glücklichsten. Sie leiden sicher viel. Aber, sie verdienen unsere Anteilnahme. Alle, die von ihren Kilos herunter wollen und durch bessere Ernährung ihren Körper wieder beweglich machen wollen, müssen ermuntert werden. Lächerlichkeit hat da keinen Platz, zumal das Schönheitsideal in manchen Gesellschaften eher den wohlgenährten Menschen bevorzugen. Fett als Zeichen des Wohlstandes.

2015

Also, damit eine Sache klar ist: Rainer Hunold lebt mit seinem Speck äußerst zufrieden. Er sprengt auch den Rahmen nicht und ist als Dickie recht populär und ansehnlich. Ich für meinen Teil, setze mich für mehr Verständnis ein. Nicht etwa, weil ich selbst hochgradig beleibt bin, sondern, weil ich mit meinen Kilos immer gnädig umgehe. Ein paar mehr oder weniger. Who cares? Mein Lebendgewicht: zwischen 88,7 und 88 Komma 9.









Donnerstag, 15. Dezember 2016

Die Heiligen der letzten Tage.

Die Kirchen in Deutschland haben immer ein wenig auf sie herunter geblickt. Die Zeugen Jehovas, die man im Dritten Reich Bibelforscher genannt hat, wenn ich exakt informiert bin, galten als Sekte, wie die Methodisten und andere Religionen. Die Nazis haben sich ihnen zum Teil erfolgreich angebiedert. Von der katholischen Kirche weiß man, dass manche Bischöfe und Priester den Faschismus offen unterstützt haben. Auch die Zeugen Jehovas und die Mormonen machten diesen Fehler. Solange man von den verbrecherichen Taten der Nazis nichts oder fast nichts wusste, war das irgendwie verständlich.


Man kann auch verstehen, dass sexueller Missbrauch durch Kirchenmänner auch heute noch wie ein Tabu behandelt wird. Dass man versucht, solche Vorkommnisse schnell vergessen zu lassen. Doch heute leben wir in der digitalen Welt. Geschichtliche, geografische, politische und moralische  Ereignisse lassen sich nicht mehr vertuschen. Auch nicht die Vergehen anderer Zeiten und Regionen. Im Gegenteil, sie können heute durch das Internet missverstanden, überhöht und augeschlachtet werden. Von einer bösen Person sagte man einst: ihr einziger Ausweg war die Tugend, sozusagen die Rettung hinüber zum Guten. Ein bekanntes Bild einer Art Bekehrung.

Mir wurde eine solche Gelegenheit geboten, als ich mit 18 die Klingel an unserer Haustüre hörte und zwei junge Männer im ganzen Anzug und Schlips davor standen. Die Eltern waren nicht zuhause. Ich war allein. Die beiden Jünglinge waren etwa so alt wie ich. Sie hielten ein Buch in der Hand, das sich als das Buch Mormon herausstellte. Meine lockere religiöse Erziehung, irgendwo zwischen Katholizismus und Protestantismus, sowie die seriöse Kleidung der beiden weckte meine Neugier. Sie kamen aus Salt Lake City in Utah/USA und waren auf Missionstour in Deutschland.


Ich lauschte ihren Worten, die sich hauptsächlich um Joseph Smith drehten, der im 19. Jahrhundert eine Erleuchtung hatte. Das Buch Mormon berichtet, dass Jesus Christus im Jahre 34, nach seinem Tod und seiner Himmelfahrt, in Amerika den Ureinwohnern erschienen ist. Das Buch Mormon beschreibt den Umgang Gottes mit den Menschen, wenn ich mich recht erinnere, im Zeitraum zwischen 600 vor Christus bis 400 nach. Mormon fasste das auf Goldtafeln zusammen, die in ein sicheres Versteckt kamen. Joseph Smith war dann derjenige, der die Tafeln fand und in kurzer Zeit ins Englische übertrug. Also sind die Mormonen meist amerikanische Bürger.


Das Interessante am Buch Mormon ist, dass es selbst die Frage stellt, ob alles der Wahrheit entspricht. Doch in einer Zeit, da es die Lügenpresse gibt, Leute wie Donald Trump, Frauke Petry, Marine Le Pen und Nigel Farage (alles Lügenspezialisten), kommen dem geneigten Leser immer wieder Zweifel am Gedruckten. Vor Gutenberg, dem Erfinder der Druckmaschine, konnte man eine Lüge, falls man sie als solche erkennen konnte, laut und deutlich entlarven. Heute kann man nichts Gedrucktes einfach so hinnehmen.


Doch der Glaube versetzt Berge. Wir hatten vor ein paar Tagen zwei amerikanische Gäste aus Utah. Ein sympathisches junges Paar, das uns anschließend zu einem Gottesdienst in einem Mormonentempel bei Bradford einlud. Beide waren aufgerufen, dort zu ihrer Gemeinde zu sprechen. Es ging alles gut. Ob Bibel oder Buch Mormon, unser Freund und seine Frau brachten das Beste zum Vorschein, was heilige Schrift zu sagen hat. Was Cath und mich am meisten beeindruckte, war die starke Bindung der Gläubigen untereinander und die fröhlich herumlaufenden Kinder. Meine letzten Erinnerungen an einen katholischen Gottesdienst sagten mir: es wird nicht gelacht, weniger gesungen, Kinder hatten artig zu sein und der Gott war - wie ich vermute - derselbe.


Da ich meine eigenen Gedanken zur Religiosität, zum Glauben und zu Erleuchtungsfragen habe, kann ich mit Leichtigkeit sagen: Jeder soll und kann nach seiner Fasson selig werden. Auch die Heiligen der letzten Tage.









Claude Monet, fast blind und Maler?

Die große Monet-Ausstellung in Chicago war sehenswert. Ein Kritiker seiner Zeit hatte Monet als Impessionisten bezeichnet und wollte damit zum Ausdruck bringen, dass er nicht in der Lage war, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie war. Logischerweise ging Monet als Begründer der Malerei des Impressionismus in die Geschichte ein, obwohl er selbst die Skizzenhaftigkeit des Augenblicks von anderen irgendwie abgemalt hatte. Was anfangs als Oberflächlichkeit abgekanzelt wurde, siegte auf der ganzen Linie. Vincent van Gogh allerdings gilt eher als Post-Impressionist.


Monet sah die Welt mit neuen Augen. Dabei verschlechterte sich seine Sicht mehr und mehr. Manchmal konnte er fast nichts mehr sehen. Er musste sich operieren lassen. Konnte zuweilen nur die Farben Blau und Gelb erkennen. Sein Stil war entsprechend: Farben und Formen, der Natur entnommen. Eine neue Sichtweise eben.


Seine Irise, Nelken, Tulpen, Blüten aller Art, Seerosen und Lilien: es sind die Farben, die ihn erregen, aber auch die geschwungenen Brücken, die Bäume, die Natur eben. Er lernte die Freiluftmalerei in jungen Jahren. Als er sich aus der chronischen Armut herausgemalt hatte, kaufte er sich ein großes Haus mit Garten. Er inspirierte sich an den eigenen Gewächsen. Im Garten arbeiteten bis zu 7 Gärnter. Kein Wunder, dass seine pächtigsten Werke Abbildungen, oder eher Interpretationen, von Teilen seines Gartens sind.



Man sieht gradezu, wie der Maler vom Gegenständlichen zum Abstrakten vorgedrungen ist. Eine Entwicklung, die man auch der Musik zusprechen muss. Von Bach zu Schönberg. Und wir Menschen machen das mit. Und nur das Talent, der Pioniergeist, kann das bewirken. Die Erschaffung der Natur war nie eine nationale Angelegenheit. Sie hatte mit unseren Vorstellungen von Nationen und Ländern nichts zu tun. Deshalb ist auch die Kunst universal. Und Monets Bilder können überall gesehen werden. Sie sind Kulturgut im engsten Sinne des Wortes.



Dienstag, 13. Dezember 2016

Die verlorene Zeit des Marcel Proust

Um ganz ehrlich zu sein: ich hielt dich anfangs für einen vertäumten, wehleidigen, überspannten Luxusautor, über den man sagen konnte, er sei permanent à la recherche du temps perdu. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Für ihn war die Entdeckungsreise nicht die Suche nach Neuem, sondern das Sehen mit neuen Augen. Lange Zeit verbrachte er kränklich im Bett. Das Ergebnis, eine Entdeckung: seine Vergangenheit in 7 Bänden. Um die 3000 Seiten. Es wäre unfein, Proust als einen Spinner abzutun. Übrigens wurde er in seinem Werk von Goethe inspiriert, der seine eigenen Lebenserinnerungen Dichtung  und Wahrheit nannte. Proust hatte eine wohlhabende jüdische Mutter und einen gelehrten und prominenten Vater. Seine Asthmaerkrankung machte ihn schon früh zu einem wohlbehüteten, ständig umsorgten Patienten.


Der schönste Roman der Welt, wurde dieser Romanzyklus genannt, nachdem er die Welt erobert hatte. André Gide als Lektor hatte ihm schließlich zu diesem Erfolg verholfen, nachdem er noch ein Jahr zuvor Prousts Werk als typisch versnobt abgetan hatte. 1913 war das Jahr, als, dank Marcel Proust, die Tasse Tee und das "Madeleinchen" bekannt wurden. Für immer. Marcel erinnerte sich an einen Duft in seiner Kindheit, als er ein Gebäck namens Madeleine in den Tee tauchte. Dieser Duft öffnete seine Kindheitserinnerungen. Damit begab er sich literarisch auf die Suche nach der verlorenen Zeit.


Wer hat nicht schon plötzlich an etwas gedacht, das vor vielen Jahren zutraf, wenn der Auslöser, ein bestimmter Duft war, sozusagen als  Transportmittel der Erinnerung? Ich werde sofort an meinen Kindergarten erinnert, wenn ich Bakelit rieche. Wir hatten ein Regal mit roten Bakelitbechern zum Zähneputzen. Dabei geriet das Kindernäschen in den Becher, der eigenartig süßlich roch. Genau wie der schwarzbraune Volksempfänger, ein Radiogerät der älteren Art, das auch einen süßlichen Geruch hatte. Sofort dachte ich an meine erste Geliebte, die mir im Kindergarten einen weichen, feuchten Kuss auf den Mund gab. Wir waren 5, und das gemeinschaftliche Zähneputzen machte Spaß.


Der Volksempfänger war für mich die Verbindung zur Welt. Der Krieg war zuende, und im Radio gab es Wunschkonzerte und unsäglich banale Wetterberichte. An Blasmusik kann ich mich erinnern. Das alles hat ein synthetischer Kunststoff bewirkt, den ein Belgier um die 1905 erfand und von Berlin aus weltweit vermarkete. Seine chemische Basis waren Phenol und Formaldehyd, das durc Wärme und Druck in beliebige Formen gepresst werden konnte. Schon denke ich an Fenster- und Türgriffe, Telefonapparate und an den Trabbi aus der DDR.  Alle enthielten Teile aus Bakelit.

Drei Jahre Wien. 
Marcel Proust hat also mit seiner "verlorenen Zeit" ein Lebenswerk erschnüffelt. Seine Erinnerungen müssen nicht immer die Wahrheit sein. Aber, sie sind Teil seines Lebens. Wir alle haben das Recht, Erinnerungen zu haben. Vor allem, wenn sie frei von traumatischen Alpträumen sind. Aber auch da können zum Beispiel Therapeuten helfen, den Schmutz vergangener Jahre (Krieg, Zertstörung, Missbrauch, Folter usw.) zu beseitigen. Nur die Erinnerung hilft, zu einer erträglichen und auch besseren Gegenwart zu kommen. Marcel Proust hat den Weg gewiesen: ein Tässchen Tee mit eingetauchtem Madeleinchen, und schon kann für jeden eine vergangene Welt wiederbelebt werden. Es gibt viele solche "Andenken", die einen rückwärts träumen lassen.










Montag, 12. Dezember 2016

Wer ich wirklich bin. Ortsbestimmung.

In der englischen Stadt Bristol werden 91 verschiedene Sprachen gesprochen. Im recht kleinen Zypern müssen es mindestens 20 sein, neben Griechisch, Türkisch und Expat-Englisch. Bei Städten wie Berlin oder Hamburg dürften es ebenfalls um die 100 Sprachen sein, die dort vertreten sind. Allein in Indien, mit 1,3 Milliarden Menschen gibt es 461 Sprachen verschiedener 'Familien', 447 sogenannte Lebendsprachen und 14 ausgestorbene. Zur Zeit sind 13 Sprachen am Aussterben. Interessant vielleicht auch, dass 10 Millionen Menschen 'sprachlos' sind, also taubstumm.


Wer versuchen möchte, herauszufinden, wer er ist und woher er kommt, kann auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Sprachen, denen ich mindestens 2 Jahre meines Lebens ausgesetzt war, sind meine Muttersprache (Deutsch), mit Badisch, Elsäßisch und Schwyzerdütsch. Französisch, Türkisch, Englisch bildeten Sprachräume, in denen ich gelebt habe. Völker und deren Sprachen können vermitteln, was man gemeinhin als Kultur und Lebensart bezeichnet.

Wer mit einem Partner, einer Partnerin anderer Nationalität und Herkunft verheiratet ist, kann aus zusätzlichen kulturellen Quellen schöpfen. Auch Konflikte können daraus entstehen. In einem anderen Kulturkreis zu leben, muss nicht heißen, dass man ihn sich total zu eigen macht. Auf den Austausch kommt es an, und auf das, was unter dem Strich übrig bleibt.


Auf dem Weg zu sich selbst hält man gerne inne, von Zeit zu Zeit, zieht Bilanz und fragt sich, wer bin ich? Wo stehe ich? Nachdem ich mit Cath vor einem Jahr in Yorkshire/Nordengland gelandet bin, muss ich es herausfinden. Was ist von der Schweiz geblieben? Dass man übergroßen Wert auf Geld legt? Sauberkeit und Komfort? Schüchternheit gegenüber allem Fremden?

Frankreich hat mich mehr geprägt. Das Essen. Ein gewisser Lebensstil. Der Zentralismus, der natürlich auch Vorteile hat. Paris, das A und O? Alles was gut ist, ist französisch? Das übersteigerte Nationalbewusstsein als Droge? Stille Sympathie für Deutsches? Abneigung gegen den eigentlichen Rivalen England? Ein großes Land hat von allem etwas. Und vieles hat sich mit den Jahren zum Besseren gewandelt.


Zypern? Der türkische Teil: historisch im Osmanischen Reich gewachsen, vom griechischen Teil unterdrückt. Zwei Kulturen mit unterschiedlichen Religionen auf einer Insel zwischen Europa, Asien und Afrika. Ein potenzielles Pulverfass mit unglaublicher Gastfreundschaft. Der Fremde wird hoch geehrt. Orientalische Einschläge und insulares Gehabe. Noch regiert die traditionelle Politik der Abgrenzung gegeneinander. Doch ändert sich alles ganz schnell. Ein Klima zum glücklich sein. Ein Mittelmeer als Lebenselixir.

Drei Jahre Wien machen auch aus einem Deutschen so etwas wie einen Nebenösterreicher. Apfelstrudel und Ähnliches erobert den Zugereisten im Nu. Das Klima ist herrlich. Man atmet Geschichte und nimmt leichten Abstand zur Wiener Lebensart, die für viele Ausländer aber sehr angenehm ist. Ein gewisser Fatalismus passt perfekt zum Zelebrieren des Kaffeegenusses. Eine faszinierende Nähe zwischen Österreichern und Deutschen ist möglich. Man fühlt sich verwandt.


England, das Land meiner Frau, historisch etwas überladen, das Nabel-der-Welt-Gefühl ist noch vorhanden. Der Triumph der englischen Sprache. Der neue Ehrgeiz, endlich zu den Ländern mit eigener Gastronomie zu gehören. Die insulare Seltsamkeit. Der feine Humor und die einmalige Freundlichkeit, die auch im Straßenverkehr dominiert. Vergleiche mit Frankreich/Deutschland fallen, automäßig,  zugunsten der Briten aus. Das Wetter ist das ewige Thema. Und Brexit. Daran knabbern die Briten gerade.


Was fängt man mit alledem an, wenn man herausfinden möchte, wer man ist, denn man hat von allen Aufenthalten etwas mitgenommen. Toleranz, Freundlichkeit, rassen- hautfarben- hassfreies Denken sind die angenehmen Folgen. Das pauschale Urteil wird nur noch in Ausnahmefällen zugelassen, etwa bei Donald Trump, Nigel Farage, Frauke Petry, Marine Le Pen. Für sie gilt: Unreif, lügenhaft, unverständlich, unglaubwürdig. Ich bin heute das Produkt vieler Einflüsse. Ein wenig von jedem und allem. Und, darüber hinaus, fühle ich mich mit meinen Identitäten im Großen und Ganzen zufrieden.



















Freitag, 9. Dezember 2016

Heute ist so ein Tag: es geht mir dreckig!

Warum lasse ich mir das nicht einfach auf der Zunge zergehen? Es gibt Tage, da möchte man nicht aufwachen. Nie mehr aufwachen. Der Blick nach draußen sagt mir: Wetter, heute, beschissen. Gibt es Menschen, die einen solchen Zustand genießen können? Ich nicht. Ich schäme mich für die Kopfschmerzen und das Ziehen im Rücken. Und, warum juckt mein ganzes Unterteil? Das Klappern der Müllmänner, die gerade die Tonnen leeren, hilft da auch nicht.


Vielleicht die Nachricht im Briefkasten? Herzlichen Glückwunsch. Sie haben eine Villa im mediterranen Süden gewonnen. Auch das noch! Das ist Verdummung. Villas im Süden gewinnt man nicht. Aber der Gedanke daran könnte den Magen etwas beruhigen, wenn da nicht im Radio das dämliche Orgelspiel von Classic FM wäre, die zum xten Mal einen Gassenhauer von Bach brutal herunterdudeln. Abschalten!

Ich habe zu lange getrödelt. Der Kaffee ist jetzt kalt. Werde ich mich anziehen, oder tatenlos herumliegen, spärlich bekleidet im grauen aber sehr flauschigen Bademantel, den ich mit Cath neulich bei Mark & Spencer in Leeds gekauft habe? Ein echter Lichtblick, der Bademantel. Ich muss zur Tiefkühltruhe vordringen, um die Hühnerbrust heraus zu nehmen. Wenn ich es schaffe, bis Cath nach Hause kommt, eine Hühnerbrühe mit Gemüse herzustellen, ist unser Magen gerettet. Auch Glückshormone soll eine solche Suppe auswerfen, sagt man.


Alleine im Haus und kränklich, ist genauso schrecklich wie der gerade eingespielte Bolero von Ravel. Unerträglich! Warum schalte ich nicht für immer ab? Wenn man sich einmal die Scheherazade von Rimsky-Korsakov wünscht, kommt sie nicht. Statt dessen frage ich mich, ob ich nicht doch Glück habe, wenn ich den Zettel mit dem Villagewinn ausfülle. Man weiß ja nie. Jetzt ist auch noch mein Hirn beschädigt. Das geht in Richtung Depression.

Cath kommt ins Haus gestürmt. Sie war bei Keelham's in Skipton und brachte Gemüse mit und schöne Artischocken. Das ist in Yorkshire selten. Ein Lichtblick, sozusagen. Wenn jetzt einmal nichts Schwachsinniges über Donald Trump im Radio verkündet wird, könnte es langsam wieder bergauf gehen. Das Jucken in der Pogegend, lässt nach. Vielleicht sollte man solche Untage einfach aussitzen. Warten bis es vorbei ist? Helmut Kohl und andere haben es vorgemacht.


Da fällt mir ein, dass ich heute noch zum Friseur muss. Ich habe es dann am Nachmittag geschafft. Es war kein einziger Kunde da. Nur ein mit kleinen Silberringen und Piercings im Gesicht verbrämtes Mädchen fragte mich, ob ich angemeldet sei. Ich verneinte und wurde von ihr an den Stuhl geführt: I have 5 crowns to look after und brauche keinen Scheitel. Das mit den 5 Wirbeln versetzt jeden Haarkünstler in Aufregung, denn ich weiß nicht, wo diese Wirbel sind. Wenn man sie jedoch falsch beschneidet, sehe ich wie ein Schulanfänger aus. Diese Gefahr hat mein schweigsames Mädchen grandios umschifft. Genau 7 Pfund Sterling musste ich dafür hinlegen. Ein wohltuender Preis für einen liebevollen Haarschnitt.

Die Sonne kam heute nicht mehr zum Vorschein. Meine Depression ist gewichen. Die Hühnersuppe schmeckte, und der Tod von Hildegard-Hammbrücher und von Douglas Kirk, beide mit 95, hat wieder einmal gezeigt, wie relativ alles ist.








Donnerstag, 8. Dezember 2016

Da kann ich nur lachen.

Die Bredle backende Weltmacht sitzt im Baden-Württembergischen Baden. Weihnachtsgebäckmäßig erstreckt sie sich bis ins benachbarte Elsaß, wo man auf vornehm Französisch von les bredele spricht. Gibt es da etwa eine Maus, die einen Faden abbeißt? Keine. Die Norddeutschen reden gar von Konfekt. Damit will ich als (nach England) weg-emigrierter Badener nichts zu tun haben. Hier, in Yorkshire, würde keiner auf die Idee kommen, sich die historisch gewachsene Bredle-Bäckerei Badens unter den Nagel zu reißen.


Ich rede von Springerle, Hildabredle, Zimtsternen, Butterbackes, Vanillekipferln (ein Habsburger Import?), Glacierten Bretzelchen, Anisbredle, Spitzbuben, und lasse die übrigen Köstlichkeiten beiseite, weil sie mir nicht mehr einfallen. Meine badische Mama war eine Meisterin beim Backen von mindestens 20 Sorten Bredle oder Brödle. Mein badischer Stolz erhält jedoch einen Knacks, wenn die typisch schwäbische Vereinnahmungsmasche öffentlich von original schwäbischen Spitzbuben mit Hägemark spricht. Die Zeiten für Bredle sind ohnehin vorbei. Was die Backindustrie heute auf den Markt wirft, wirkt wie der dritte Aufguss eines Magentees. Schal, unbadisch, unschwäbisch, unsüddeutsch und unelsäßisch. Was bleibt, sind die Erinnerungen.

Huch, es weihnachtet sehr! 
Heute früh rhapsodierte unser geliebter Deutschlandfunk relativ kompetent über Weihnachtskonfekt. Da kann ein der Heimat entrissener Badener aber nur lachen. Sollte man nicht auch die backende Kirche im Dorf lassen? Norddeutsch wird anders gebacken. Bienenstich ist OK, reißt aber nicht vom Stuhl. Aber auch das hatte meine Mama im Programm. Warum arbeiten wir die Weihnachtsbäckerei nicht einfach neu auf? Badisch ist, was schmeckt. Vor allem auf dem Gebiet der Bredle. Bei allem anderen ziehe ich freundlich aber bestimmt, eine kulinarische Augenbraue hoch.

Ich hab nur die eine im Archiv. 
Hier in England hat sich die badische Küche leider auch noch nicht voll durchgesetzt. Das badische Schneckensüpple ist manchen bekannt. Von einem schwäbischen solchen Süpple habe ich jedoch noch nie etwas gehört. Auch der badische Rehrücken (Baden-Baden) gehört zum Repertoir des britischen Europakenners. Doch den Vogel hat immer noch der Black Forest gateau abgschossen, von dem es hier waghalsige Nachbildungen gibt. Die Schwarzwälder Kirschtorte ist das nationale Symbol des badischen Hegemonialanspruchs in der Gastronomie. Sollen die 'Alternative für Deutschland' oder die anderen Rechtsformationen bloß nicht auf die Idee kommen, diese Torte als biodeutsch zu vereinnahmen. Es würde der AfD nicht bekommen. Jedes ihrer Wahlergebnisse würde in Baden automatisch von 10% auf 0,1% abfallen. Die 0,1% sind diejenigen zugereisten Wähler, die eine Kirschtortenallergie haben und medizinisch entschuldigt sind.

Konfektfresser 
Lasst eure braunen Finger also auch davon. Denn eine Schwarzwälder Kirschtorte im Gesicht von Petry oder von Storch kann es nicht geben. Aus politischen, wirtschaftlichen und weltanschaulichen Gründen. Dafür ist auch das Herstellungsmaterial zu kostbar. Mit solchen Dingen treiben wir in Baden keine Scherze. Aber zum badischen Sauerbraten dürft ihr gerne kommen. Von mir aus auch eine eurer hübschen Augenbrauen hochziehen. Das macht den Kohl, sorry, die Merkel nicht fett.


Hier in England fehlt mir so etwas manchmal. Dafür haben wir Trumpgesäusel und Trumpverachtung, genau wie im Badischen. Man darf hoffen, dass der Trumpeintopf nicht zu uns nach Europa herüberschwappt. Hugh, ich habe gesprochen.








Mittwoch, 7. Dezember 2016

Die Sache mit den Schwulen.

Manchmal denke ich, Schwulsein hat sich noch lange nicht freigestrampelt. Manche rückwärtsgepolte Zeitgenossen, versuchen immer noch, sich und anderen einzureden, Homosexualität sei heilbar. Da kann man nur alles Gute wünschen. Im Land der englischen Königin ist man ganz sicher schon weiter. Seit wir hier leben, erfahren wir täglich, wie normal es ist, sexuell anders als hetero orientiert zu sein. Es gibt schon viele, für die Schwulsein überhaupt kein Thema mehr ist. Schließlich hatten wir einen liberalen Außenminister und einen linken Regierenden Bürgermeister in Berlin. Und schon wissen wir heute nicht mehr so genau, wer schwul und wer unschwul ist. Ich kann nur sagen: das ist gut so. Es wird unsere Gesellschaft erträglicher machen.

Russell Tovey, Werwolf und aktiv schwul. 
Eigenartigerweise hat die Machoseite in Deutschland nie zu große Töne gespuckt. Kommissar Schimanski oder Boxer wie Max Schmeling waren zwar sehr macho, ohne jedoch irgendwie triumphal zu wirken. Sie wussten, dass sie nur Teil eines vielfältigen Spektrums waren. Ihre Intelligenz hielt sie von Verallgemeinerungen ab. Die amerikanische Cowboymentalität saß, so kann man das sehen, immer schon auf dem hohen Ross. Ein Rinderkönig konnte nicht schwul sein. Stammt die Trumpsche Allergie gegen alles "Unnormale" von da? Oder hat es mehr mit einem schwer verdauten Pietismus zu tun? Merkels Republik hat also auf diesem Gebiet sicher schon rasante Fortschritte gemacht. Deutschland ist fast normal geworden, wenn man von puritanischen Eruptionen des rechten Lagers absieht. Moralische Regungen am falschen Platz, das ist typisch für das komplexgeladene neonationalistische Gedankengut. Das ist Hass und Intoleranz. Es ist auf keinen Fall richtungweisend.


Das ist das Interessante an unserer Zeit: wir schichten unser Bewusstsein ständig um. Was noch vor kurzem recht heftig klang, wenn man einen Nicht-Hetero eine schwule Sau nannte, scheint nicht mehr akzeptabel. Guido Westerwelle und Klaus Wowereit haben in der allgemeinen Anerkennung von sexuellem Wie-Sein und So-Sein wahre Pionierdienste geleistet. Neben London, New York, San Francisco und Wien gehört auch Berlin heute zu den 10 weltoffensten Städten auf diesem Gebiet. Die zuweilen bizarren Umzüge, wie Christopher Street Day haben da ebenfalls mitgeholfen. In vielen Ländern bekennen sich Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transgender und weitere sexuelle Minderheiten zu ihren Neigungen. Das Coming out ist fast zur Selbstverständlichkeit geworden.

Öffentlicher Kuss nicht ausgeschlossen 
Doch bleiben große Probleme: die (Vor)Verurteilung als abartig und ausschweifig scheint noch das geringste unter den Problemen zu sein. Die Gleichbehandlug ist wichtig, angesichts der Diskriminierung. Und noch etwas ist für diese Gruppen jetzt notwendig: sie wollen nicht ständig im Mittelpunkt voyeuristischer Neugier stehen. Im abgebrühten England erheben sich Stimmen, die LBGT-Gemeinde, die Gay-Pride nicht nur toleriert zu sehen, sondern mit Stolz und Selbstbewusstsein durchs Leben gehen zu können. Ich bin schwul. Das geht niemand was an. Und wem es nicht passt, der kriegt eins auf den Hut.  Schwulsein und Anderssein als absolutes Menschenrecht. Nicht nur religiöse Kreise haben damit noch Probleme, sondern auch undemokratische Regime. Man kann nur hoffen, dass die natürlichen Unterschiede zwischen den Menschen allmählich aus dem Fokus rücken und nicht Gegenstand von feindlichen Auseinandersetzungen bleiben. Ich kann da mitmachen.








Dienstag, 6. Dezember 2016

Baum, Baum, Baum. Wissen wir da, was wir sagen?

Als wir in Wien wohnten, im Ersten Bezirk, hatten wir drei Jahre lang den Stephansdom vor  Augen. Schöne alte Fassaden rundherum, einen 400jährigen Innenhof und einen modernen Fahrstuhl, der uns in den 4. Stock brachte. Sofort merkte ich, dass hier etwas nicht stimmte: von keinem unserer Fenster war ein Baum sichtbar, obwohl es im Hinterhof einen gab, der von Vögeln als fliegende Asylanten ungestört aufgesucht wurde.

Wien 
Wir waren vom Schwarzwald aufgebrochen, wo unser Garten eine Tanne, einen Nussbaum, einen Kirschbaum, Zwetschgenbaum, einen Apfelbaum, einen Pfirsichbaum und einen kleineren Aprikosen- sowie Feigenbaum beherbergt. Zur Zeit der Blüte beginnt man, mit den Bäumen zu leben. Dann folgt man der Jahreszeit, bis man im November die Nüsse auflesen und das Laub wegräumen kann.

Der Kirschbaum im Schwarzwald 
Jetzt wohnen wir in Yorkshire, wo Winde blasen, Regenschauer daherfegen und, völlig unvorhersehbar, die Sonne wieder durchkommt. In unserem Garten steht ein Apfelbäumchen. Immerhin. Ein paar Büsche. Das macht nichts, denn wir sind eingebettet in riesige Nachbarbuchen und Eichen (?), deren herbstliche Entlaubung uns auf den Frühling hoffen lassen. Frei nach Cath (auch sie liebt Bäume), hat dieser bereits begonnen. Erste Triebe an Büschen und hausnahen Bäumen sind sichtbar. Gottseidank.

Der Baum gegenüber 
Der Baum des Lebens ist dem Menschen kaum vertraut. Ein Mann wie ein Baum, oder ein baumlanger Kerl, wer hat das noch nie gesehen? Eine Tanne hingegen ist geradezu vorbestimmt, ein Weihnachtsbaum zu werden. Wie grün sind deine Blätter, ist nur ein alberner,  poetischer Ausrutscher für den Christbaum. Die hübsche Tanne möge es uns vergeben. Hier in Haworth steht ein herrlich blauleuchtender Weihnachtsbaum. Zum Ergötzen aller, die daran vorbeigehen. Doch der Baum des Lebens hat eine sichtbare Krone und ein ebenso großes unsichtbares Wurzelwerk. Lasst uns das nie vergesen.


Doch die Weihnachtsstimmung muss schon lange verloren gegangen sein. Was geblieben ist: Die Freude an schönen Bäumen, den Bäumen des Lebens.


Montag, 5. Dezember 2016

Die Verstimmung merkt man ihm an. Und das, vor dem Fest!

Ein paar Stimmen zu wenig, und der österreichische Bundespräsident hieße jetzt Hofer, wieder so ein rechtsfanatischer Nazisympatisant der FPÖ. Beim Aufatmen, heute früh, das weite Teile der Welt erreicht hatte, denn Alexander Van der Bellen hat klar gewonnen, fiel uns ein, dass der Klavierstimmer vorbeikommen wollte. Wir freuten uns für Österreich, das jetzt einen "normalen" Präsidenten haben wird.

Frieden in Wien. Das Fest kann kommen 
In unserem Yorkshire Haus, das einige Jahrhunderte alt sein könnte, ist es kalt und feucht. Colin bemerkte es sofort. Mit geübtem Griff griff er zum Klavierdeckel und fragte: was für eine Marke ist das? Als Vater Lewis vor zwei Jahren starb, stand das Haus in der Sun Street in Haworth unbewohnt und dem Wetter trotzend und regenerprobt. Für ein Piano nicht gerade ein ideales Klima, zumal seit Jahren keine Finger mehr über die Tasten strichen. Ein Steinway, Bechstein oder Blüthner wäre leicht zu erkennen gewesen, doch dieses Klavier ist die Ausgabe Nummer 3495 der Marke Cecilian, von der wir zuvor nie etwas gehört hatten.


Colin machte sich sofort ans Werk. Mit dem Einsatz eines liebevollen Tierarztes. Die komplizierten Innereien des Klaviers waren im Nu bloßgelegt. Die ich-weiß-nicht-wievielen Oktaven schnell angeschlagen, seine leichte Verstimmung bestätigt. Es war ein mittleres C oder so, das Colin besondere Sorgen machte. Er löste diese Taste heraus und prüfte, wie oder ob sie an der entsprechenden Saite anschlug. Dabei ergab sich auch, dass die schwarzen Tasten zwar aus Ebenholz waren, die weißen jedoch nicht mit kostbarem Elfenbein bedeckt, was uns sicher ein schlechtes Gewissen bereitet hätte. Dann hagelte das komplette Wissen eines gelernten Klavierstimmers auf uns herab. Temperaturoktave aufwärts, Quintenoktave, dann Quartenoktave aufwärts und so weiter.


Cath durfte ein paar Akkorde spielen, um zu hören, wie das alles klang. Der Meister schrieb sich Sachen nieder, und ich versuchte zu verstehen, was in mir vorging, wenn ich Beethovens Mondscheinsonate hörte, oder Debussys Claire de lune. Oder Erik Saties Gymnopédie, ein fantastisches Klavierwerk, das mich immer wieder aufrüttelt. Es wundert mich nicht, dass ich davon nichts verstehe. Ich bin ein Sehmensch, kein Hörmensch, höchstens ein Verstehmensch.


Colin, der aus Bradford angereist war, machte uns klar, dass es unterschiedliche Wege gab, dieses müde Instrument wieder zum Funktionieren zu bringen. Wir sollten uns genau auswählen was wir wollten und es ihn später wissen lassen. Unter 800 € war keine Lösung in Sicht. Sehr viel mehr könne eine komplette Sanierung kosten, die auch etliche Wochen in Anspruch nehmen würde. Dann setzte er sich ans Klavier und spielte Beethoven, Debussy und Satie. Wie ein junger Gott. Bescheiden klang es, als er uns verriet, dass er auch schon in Australien als Konzertpianist gearbeitet hatte, bevor er als Klavierstimmer seine Ausbildung begann. Nur blinde Klavier- oder Cembalostimmer hätten eine gute Chance, die Tontreue auf die Spitze zu treiben. Colin ist für uns die Entdeckung eines musikalischen Universums.







Sonntag, 4. Dezember 2016

S'ist zweiter Advent, Herr Söder!

Irgendwann muss man damit beginnen, Gutes zu tun. Der zweite Advent ist dazu gerade recht. Die Unwegsamkeiten des Alltags beginnen allmählich, dem Duft von Kerzen und Glühwein Platz zu machen. Von der Politik wird jetzt nichts mehr kommen. Trump muss noch warten, bis er sich voll austoben kann. Das Referendum in Italien ist noch nicht ganz vorbei. Inzwischen wissen wir, dass Herr Van der Bellen gegen Hofer in Österreich gewonnen hat. Hurra! In England wird der Brexitsturm weitertoben, doch, ohne baldige Ergebnisse. Wir können also auf ein gesegnetes Fest hoffen. Da soll man auch nicht CSU-Politiker mit unflätigen Bemerkungen vergraulen, die ein wohlverdientes Recht haben, wie alle anderen friedlich unterm Baum zu sitzen.


Unsere Entfernung zur deutschen Politik ist groß. Wir wohnen im vorweihnachtlichen Yorkshire. Da ist auch nicht alles Gold. Das Interview der Woche des Deutschlandfunks habe ich mir heute Morgen dennoch eingezogen und mich auch ein wenig fremdgeärgert. Ich vermute, dass sich bei manchem Zuhörer automatisch der Magen umgedreht hat. Der Befragte ist eine bekannte bayrische Persönlichkeit namens Markus Söder, Finanzminister seines Landes und sehr redegewandt. Normalerweise sehe ich rot, wenn ich bayerischen Politzungenschlag höre. Nicht wegen des schönen Dialektes. Ich höre Bayrisch ganz gern. Sondern wegen des heimatlichen Patriotismus dieser Politiker, die alle derselben Partei angehören, der CSU. Wer die zum Feind hat, ist entweder in der  CDU, der sogenannten Schwesterpartei, oder in einer der anderen demokratisch erprobten Parteien der Republik.


Markus Söder war nicht etwa ausfällig in seinem Gespräch, nein, er hat auf dem Klavier der Schlagfertigkeit alles abgeschmettert, was sich der Deutschlandfunk so ausgedacht hatte. Die Obergrenze? Wir haben nichts gegen Angela Merkel, aber da hat sie einen (unverzeihlichen?) Fehler gemacht. Überhaupt, Berlin sollte wirklich nicht unsere Hauptstadt sein. Die dortige Politik gefällt uns nicht. Ohne Sticheleien ging es wieder mal nicht. Diese Sprache wird natürlich auch von anderen bajuwarischen Vertretern gesprochen, voran, Oberbayer Seehofer. Ob es die Ilse Aigner ist, der Edmund Stoiber oder Alexander Dobrindt: sie alle haben mit Berlin und der CDU-Schwester ein ständiges Hühnchen zu rupfen. Das ist so überflüssig wie ein Kropf.

Werden wir es schaffen? 
Wer nicht in der CSU ist, wird angemotzt. Nur die Freunde von der AfD, die schon so viel rechtes Wählerpotenzial abgesaugt haben, lassen wir jetzt mal in Ruhe. Die sind es nicht, die uns zu sehr beunruhigen. Der Wähler ist eh schon verunsichert. Da könnten wir bei den Wahlen einige zurückholen, denken da manche. Also, politische Freunde vom rechten Flügel der CDU/CSU, im Nachbarland Österreich ist der Nazischrecken gerade noch einmal abgewendet worden. Lasst uns einen friedlichen Kompromiss schließen. Stänkert nicht so gegen eure Vorzeigefrau. Ihr habt nichts besseres. Kokettiert nicht am rechten Rand mit Neonazis herum. Sonst kommt da noch etwas heraus, was wir nicht wollen: amerikanische Verhältnisse. Markus Söder kann doch einfach ein wenig abwarten, bis er Horst Seehofer beerben darf. Dafür muss aber seine Partei im eigenen Land die absolute Mehrheit bekommen, sonst wird daraus nichts. Schöne Weihnachten.









Samstag, 3. Dezember 2016

Ich wüsste gern was ein Blogger ist.

Manchmal erliege ich der Faszination des Wortes. Das ist mein gutes Recht. Wörter können das Blaue vom Himmel herunterversprechen. Wenn sie dann ihr Ziel erreicht haben, wollen sie es nicht wahr haben. Es sind die ganz alten, und dann auch wieder die ganz neuen Wörter, die da auffallen.

Ohrwurm, ich weiß genau, was du tust. Du lässt eine schöne Melodie in einen Körper sickern und weigerst dich dann, wieder heraus zu kommen. Im Englischen gibt es die Übersetzung earworm nicht. Doch der Engländer bestätigt gerne, dass er ein solches Wort gut findet. Freuen wir uns über den Ohrwurm. Er kann auch unter der Dusche wirken, oder beim Radfahren. Wie man ihn wieder loswird, ist schwer zu sagen. Irgendwann ist er halt weg, wie er gekommen ist.

Manch Ohrwurm auch von ihm 
Das Ohrfeigengesicht oder auch Backpfeifengesicht hat mit dem Ohr wenig zu tun. Aber einen Zusammenhang gibt es doch: wer mit der flachen Hand eine gescheuert bekommt, weiß wovon ich rede. Das Ohr errötet und schmerzt. Das dazu gehörige Gesicht hat meist eine Ahnung, warum die Strafe zugeschlagen hat.

Ohrfeigengesicht? 
Bei den hereingeschneiten Wörtern, wie bashing oder training, wird sofort eine Verbindung zu etwas Konkretem hergestellt. Obwohl bashing als Import auch unangenehme Folgen haben kann, wird diesem Wort eine spezielle Deutung zugewiesen. Wer mit verwundbaren Minderheiten Erfahrung gesammelt hat, versteht sofort. Menschen, die sich nicht verteidigen können oder wollen, werden Opfer von bashing. Man schlägt einen mageren Schwulen, während man vor dem Macho gleicher Veranlagung eher den Schwanz einzieht. Training hingegen kann viele Bedeutungen annehmen. Man tut etwas Gutes für sich und trainiert. Trainer können allerdings ihre Machtstellung den Kleinen gegenüber missbrauchen. Ein Training, aber lassen wir das. Wörter können Menschen in ungeahnte Abgründe führen.



Ein Blogger ist eine relativ neue menschliche Spezies. Digital vernetzt mit anderen, die er nicht kennt. Ein Blog kann alles sein oder nichts. Wer sich mit Mitbloggern im Internet verabredet, um Erfahrungen über Stricktechniken auszutauschen, spinnt entweder, oder er geht einer Sache nach, von der ich nichts verstehe. Schließlich gibt es schon lange Strickmaschinen, die die grobe Arbeit erledigen. Eine Flachstrickmaschine wurde 1863 erfunden. Rundstrickmaschinen und Heimstrickmaschinen folgten etwas später. Wenn ich mir andere Blogs anschaue, werde ich oft in Stricktechniken verstrickt, die mich kalt lassen.

Doch Wörter braucht der Mensch wie tägliches Brot. Die Unübersetzlichen sind da besonders wertvoll: Torschlusspanik, Kummerspeck, Kuddelmuddel, Zugzwang und Hüftgold. Fernweh und Weltschmerz, fuchsteufelswild und Fingerspitzengefühl. Diese Vokabeln sind die Glückspilze unserer Sprache. Man benötigt ganze Umschreibungen, um den Weltschmerz zu erklären, oder das Hüftgold.
Wären wir sprachlos, würde das Fernweh uns in die Welt hinaustreiben, um die Worte zu finden, mit denen wir glücklich werden.








Der digitale Nachlass: Man wird ja mal fragen dürfen.

Das Internet hat uns schon manche Überraschung beschert. Je mehr Nutzer jetzt aus Altersgründen dahinscheiden, desto häufiger stellt sich die Frage nach dem, was von ihnen übrig bleibt. Manchmal ist der Autor ein begabter Poet, Romanschreiber oder Wissenschaftler, der das Internet für seine schriftstellerische Tätigkeit nutzt. Oder eine witzige Unterhaltungskanone. Was tun die Erben, wenn sie das der Nachwelt erhalten wollen? Oder, andersherum, Opas digitalen Müll aufräumen wollen? Die Literatur dazu ist noch einigermaßen überschaubar. Aber schon gibt es Bestattungs-Institute, die sich der Sache annehmen wollen. Bei weltweit über 1 Milliarde Nutzern ist hier ein neuer Markt am Entstehen.


Da sitzt manches nicht gedruckte Buch im Internet und wartet postmortal auf neue Leser, vermute ich. Auch wissenschaftliche Einsichten können in Häppchen angeboten werden, was vielen Nutzern nützlich werden könnte. Ein Problem ist geboren, nach Lösungen wird erst noch gesucht. Lassen wir diejenigen momentan beiseite, die in den unbegrenzten Ozean des Internets hineinschreiben, ohne viel Echo zu erwarten. Wer allerdings das Facebook bedient, kann sich auf etwas gefasst machen. Von Adolf Hitler bis zur stinkenden Fäkalie ist da alles drin. Alles mit Hass und Verachtung. Die menschlichen Instinkte eben. Das möchte man als Hinterbliebene(r) eiligst und für immer gelöscht haben.


Wer mit Hilfe des Internets Gutes tut, will es erhalten wissen. Geistreiches und Humoriges, sowie Menschenfreundliches scheint angesichts der Verhassung der digitalen Welt geradezu notwendig, als beruhigender Ausgleich, damit die Schieflage nicht noch größer wird. Also baut der digitale Inputmaker (sorry, das Wort ist von mir) vor, macht sein digitales Testament und hofft, dass die Erbberechtigten da mitmachen. Sonst ist für den Verblichenen alles aus. Wer unter einem Grabstein liegt oder verascht in einer Urne sitzt, kümmert sich nicht mehr. Also, ich für meinen Teil, mit meinen über 1000 Blogs, um die 2000 Seiten Geschriebenes und über 400 000 Reinschauer, weltweit natürlich, was mache ich, wenn ich nichts mehr mache? Ich möchte noch vorhanden sein, so doof das klingen mag.


Der Gedanke, dass man noch nach Jahrtausenden in Wort und Bild im Internet, dem alles umfassenden Medium, gegengwärtig ist, kann seinen Reiz haben. Man denke an den Mammuthzahn, der viel später ausgegraben wird, oder den Cro-Magnon Menschen, der ein wenig wie ein aufrecht gehender Affe aussah, und fröhlich etwas an die Höhlenwände kritzelte. Sie berichten uns aus vergangenen Zeiten. Doch sollte man die Hoffnungen nicht zu hoch schrauben, denn die deutsche Sprache wird, wie das Englische, das Spanische und Russische, dann dem Chinesischen als Weltsprache gewichen sein. Das Internet ist für uns dann nicht mehr leserlich. Doch bald kann ich meine Blogs mit Hilfe einer digitalen Übersetzung ins Chinesische übertragen. Dann Gute Nacht!










Donnerstag, 1. Dezember 2016

Im Facebook tobt das Leben. Aber, wohin?

Viele scheinen es noch nicht gemerkt zu haben: es wird jetzt mehr Zeit vor digitalem Gerät verbracht, als je zuvor. Es beginnt früh morgens im Bett, lässt den Frühstückstisch nicht aus, die Fahrt im Bus oder Zug, und endet nicht in der Mittagspause. Schon die kleinen Kinder hängen an ihren I-Pods, I-Pads, Rechnern aller Art und schauen gebannt auf allerhand unterhaltsamen, hirnarmen oder auch lehrreichen Unsinn. Damit bewegen sie sich digital in einer neuen Welt. Die alte Welt, die mit Menschen, Omas, Opas, Vätern, Müttern und Gleichaltrigen zu tun hat, scheint immer weiter entrückt. Manche verbringen ihr Leben schon hauptsächlich im Internet, Facebook, bei Twitter oder Ähnlichem. Da kann man mühelos an gefühlsmäßigen Tsunamis teilnehmen, seine ungereiften Meinungen bekunden, oder die Schönheiten einer unbekannten Natur und Tierwelt bewundern.


Das bis vor kurzem noch eintönige (?) Leben hat sich in eine aufregende Unterhaltungswelt verwandelt, wobei Politik, Religion, Kultur, Natur, Recht und Gesetz und eine Art Gurumentalität mit neuen Augen gesehen werden. Unsere Werteskala gerät dadurch permanent ins Wanken, wenn sie nicht sogar ganz verschwindet. Merkel muss weg wird zu einem hassverbrähmten Rülpser, Laut gegen Nazis nennt die Gegner Faschisten, Dreckspack, Mörder, Nazischweine. Man fühlt mit und kann sich dazu äußern. Das Sterben in Aleppo, auf Facebook zu betrachten, macht betroffen, löst sogar eine Welle der Hilfsbereitschaft aus.


Völlig unbedarfte Kreaturen (ich erlaube mir eine Wertung) treten aus der Anonymität heraus und werden zu Negativstars: Frauke Petry, Bernd Höcke, Beatrix von Storch, Nigel Farage, Marine Le Pen. Die anderen lasse ich weg. Die Liste der Geistesgestörten und Rechtslastigen in den Meckerportalen ist inzwischen zu groß. Auf der Gutseite kann man Videos mit ganz alten Menschen sehen, denen man ein Kätzchen in den Schoß legt, was die traurigen Gesichter wieder aufhellt.

Dann, die große Bekennerwelle. Das Gute in uns verschafft sich Luft. Liebe zu Mensch und Tier, ausländischer Wurzel und hungernden Kindern. Man nutzt alle Mittel: Sadly, 97% won't repost this, but....während die Amerikaner gerade abgelenkt werden durch Kardashians, Brangelina, Identitätspolitik und Clowns (um Trump mal nicht beim Namen zu nennen),  werden 7 Species von Bienen gerade auf die Liste der gefährdeten Arten gesetzt. Dabei gibt es ohne Bienen keine Erdbeeren, Avocados und Kaffee mehr. Like and share, bevor es zu spät ist. Wir werden also in etwas hineingezogen, was neu ist: eine leicht moralische Weltsicht der Dinge, die zur Vereinheiltichung unseres Tuns führen kann, oder auch nicht. Dazu kommt der Gebrauch von internationalem Englisch das schwer zu verstehen ist. Wahrscheinlich brauchen wir das alles, schon wegen der Massen an Flüchtlingen, armen und unterdrückten Mitmenschen.


Man kann die Facebook- oder Internetsucht leicht als etwas Abartiges abtun, kommen davon jedoch nicht wieder los. Also, Augen zu und durch? Oder, sich auf die urmenschlichen Instinkte besinnen und den Überlebensmechanismus neu bestimmen? Eine Neubestimmung kann nie schaden.