Donnerstag, 28. Juni 2012

Die Bild Zeitung als Fehlgeburt(stagskind).

Sie ist endlich da, die 60jährige mediale Großmutter. Sie wurde uns schon vor längerer Zeit angedroht. Ich hatte noch versucht, ein Verbot durchzusetzen, durch meine Unterschrift. Aber, nein, so eine alte Oma hält man einfach nicht auf. Der Briefkasten zitterte vor Wut. Einundvierzig Millionen Auflage, um was zu tun? Sich feiern zu lassen? Sind 60 Jahre eines solchen Blattes nicht eher eine Demütigung für jeden Kiosk? Ich gehöre also zu den 82 Millionen Deutschen (was geschieht mit den Österreichern, Schweizern, Elsässern, Südtirolern undsoweiter?), die es über sich ergehen lassen mussten. Also habe ich reingeguckt. Wie schön, dass alle Vorurteile bestätigt wurden.




FreiBILD für Freiwild, Seite eins: Alles exklusiv: Till & Dana Schweiger über Familie. Jürgen Klopps privates FOTO-ALBUM. Axel Schulz bekommt WM-Gürtel. So leben die Lotto-Millionäre heute.
Sogar Donald gratuliert. Und natürlich der Chefredakteur: "Liebe Leser". Darunter noch ein blaues Band: Glückwunsch. Seit 60 Jahren erreicht BILD ganz Deutschland.
Seite zwei und drei: Gerhard Schröder (damit hat man einen echten Ex-Kanzler) zum Interview gegriffen. Warum sollte er sich das nicht auch noch antun? Seine Antworten sind sogar etwas pfiffig. Journalistisch gesehen, ist Schröder jedoch nicht von brennender Aktualität. Ebenso verhält es sich mit den Millionären: sie haben 2007 gewonnen. Wie sie heute leben interessiert kaum. "BILD findet die Olympia-Kette der Nazi-Spiele", dazu ein Foto des Führers bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Berlin. Daneben (warum?) klitzeklein, ein Foto von Netanjahu, vor der UNO, die Auschwitz-Pläne zeigend. Aktualität: gleich null. Bedeutungsschwangerschaft: gleich null.
Dann: eine Doppelseite: Schlagzeiten aus 60 Jahren BILD. Keiner möchte so etwas nochmal sehen. Journalistischer Wert: Pustekuchen.
Nur noch den Schluss: "Diese Schlagzeilen werden Sie auch in 60 Jahren nie lesen. Dazu ein paar nackte Busen, dann Foto von "Opa Bohlen", Deutschland sucht den grauen Star. Guttenberg-Foto. Titel: Doktorspielchen im Schloss.

Der neugierige Leser hat natürlich diese papierne Selbstüberhebung des Blattes persönlich durchgelesen und sich sein Bild gemacht. Von Humor keine Spur. Journalismus von der masturbierenden Art. Händewaschen dringend empfohlen.






























Freibild für Freiwild, Seite eins:

Montag, 25. Juni 2012

Die Ulrich-Zasius-Bande: jetzt wird gegessen

Wenn betagte Freunde zusammenkommen, muss gegessen werden. Die zehn, die in Himmelreich anwesend waren, haben sich gemeinsam an den fein gedeckten Tisch gesetzt und am ersten Abend es sich gut sein lassen. Spinatknödel hier, Salat mit Putenstreifen da. Das Trinken zog sich zäh dahin. Der eine wollte ein Wasser, der andere ein Radler. Nur die ganz Harten wagten den Sprung zum Viertele oder Achtele. Friedlich plätscherte die Unterhaltung, bis die ersten zum Aufbruch bliesen: Angela und Heinrich West. Sie wollten noch bei Büchsenlicht den schwierigen Aufstieg durch das Höllental wagen, während die anderen im Hotel übernachteten. Allmählich legte sich das Gespräch, denn wichtige Dinge standen noch auf dem Programm: Das EMSpiel Deutschland gegen Griechenland. Es ging um den Eintritt ins Halbfinale. Die erprobten Kämpen Waltraud, Pit, Klaus und Wolfgang hielten sich bereit, im Zimmer 104 mit (noch) einem Bier den Deutschen beizustehen, die schließlich gewannen. Wo allerdings Marianne abgeblieben war, ließ sich nicht mehr rekonstruieren, während Cath wegen chronischer Müdigkeit früh die Fliege machte.




Auch das Frühstück gelang ganz gut. Danach ging es auf Wanderung. Weit schweifte der Blick über Berge und Auen. Der Schwarzwald ist nicht nur immer wieder schön: er ist schön.   Und er erhebt den Betrachter, der sich als Teil der Natur fühlt. Sogar ein Eisvogel soll gesehen worden sein. Dann stellte er sich wieder ein, der Hunger. Die von Angela und Heinrich versprochene Gaststube wurde gefunden. In den Mündern lief das Wasser zusammen, doch das schmucke Haus war schon vor drei Jahren für immer geschlossen worden. Nur der allseitigen Fitness der betagten Gruppe war es zu verdanken, dass - nach einem Marsch durch ein Maisfeld - alle wieder auf den richtigen Pfad fanden. Und schon saßen alle wieder glücklich und zufrieden am Tisch eines nicht allzu fernen anderen Gasthauses. Das Schöne am Schwarzwald ist ja gerade, dass mühsames Wandern immer irgendwie belohnt wird.




Am Abend kamen dann zum äußerst geselligen Essen auch Lucile und Rüdiger dazu, und wir ließen unsere Gedanken und Erinnerungen umherschweifen. Dabei wurde all derer gedacht, die diesmal nicht kommen konnten: Bing und May aus den USA, die im letzten Augenblick absagen mussten. Hermann und Christl, Winfried und Marianne, Günter und Marianne, Kirsti aus Finnland, Tomo, Christian und Christel aus Bremerhaven, Rolf aus Finnland und Dr. Ezawa aus Berlin. Eivind Solem hat noch rechtzeitig Zwillinge bekommen. Als deren Großvater er nun auch nicht einfach nach Himmelreich kommen konnte. Bestürzt hat uns, dass Wim van Reijn nicht kam. Er war kurz vor unserem Treffen verstorben. Unsere Gedanken waren schwer, denn wir mussten an einige liebe Freunde denken, die davon gegangen sind. Im kommenden Jahr wollen wir es dennoch wieder wagen, denn unsere fünfzigjährige Freundschaft, die in einem Studentenheim in Freiburg begann, soll behutsam weitergeführt werden. Das wollen alle.

Freitag, 22. Juni 2012

Die Ulrich-Zasius-Bande: es war einfach Diebstahl

Ein Bericht über eine Schlägerei im Hotel Himmelreich, im Schwarzwald, hatte vor Jahren Furore gemacht. Nachdem die Wogen sich damals etwas geglättet hatten, war zu befürchten, dass die überaus vitale Bande irgendwann wieder zuschlagen würde. Diesmal kam der ganz harte Kern zusammen, und bevor es im Restaurant zum Abendessen kam, wurden draußen im Garten noch ganz friedlich Kirschen gegessen. Da mit der Ulrich-Zasius-Bande normalerweise nicht gut Kirschen essen ist, lief das Personal des Hotels unter der Führung von Frau Stuzmann* ängstlich zusammen. Manche stellten sich schützend vor die Fenster, andere hielten die Kirschenessende Gesellschaft fest im Blick.


Die Kirschen hatten ausgerechnet Wolfgang und Cath mitgebracht, in Erinnerung an frühere Ausflüge der Ulrich-Zasiusler in den Kaiserstuhl. Kirschenklauen war damals die Devise. Marodierende Studenten aus Freiburg hatten ganze Kirschbäume kahl gefressen. Es war eindeutig Mundraub, auch wenn die betroffenen Kirschbauern von Diebstahl sprachen. Inzwischen sind solche Diebstähle nicht mehr gesichtet worden. Bei hohen Benzinpreisen und einem verschärften Arbeitsprogramm in den Seminaren können es sich heute nur wenige Studenten leisten, in den Kaiserstuhl zu fahren. Dafür beglücken sie als ältere Herrschaften, und aus sentimentalen Gründen, später die einschlägigen Gasthäuser des Kaiserstuhls, wo man so vergnügt sein Achtel trinken kann, leicht verwässert mit teurem Sprudel, dem transparenten Gold des Betagten.

Über das anschließende Essen der 7. Stockwerksfreunde des Ulrich-Zasius-Hauses in Freiburg muss später berichtet werden, denn es hat noch nicht stattgefunden.

* Das ist eine Lüge! Frau Stuzmann war im Urlaub.

Donnerstag, 21. Juni 2012

China, was hast du dich verändert

Gerade 10 Jahre ist es her, dass ich zum erstenmal nach China kam. Wie hat sich dieses Land verändert. Früher erschnupperte man das Riesenland, indem man in ein Chinarestaurant ging. Die Klänge, die an das Land des Lächelns von Franz Lehar erinnerten, paarten sich genüsslich mit den Düften, die aus der Küche drangen. "Peking" oder "Shanghai" waren die aufregenden Namen. Gegessen wurde, wenn man es konnte, mit Stäbchen. Ein neues Gefühl stellte sich ein. Wissen über China: so gut wie nichts, außer, Mao Tse Tung und sein rotes Büchlein, von europäischen Jugendlichen total überschätzt.


Mao war natürlich schon tot (1976), die Nachbeben dieses virulenten Bilderstürmers und seiner Roten Garden hielten lange an. Unter dem Nachfolger, Deng Xiaoping gab es dann eine Art Öffnung. Die Politik der offenen Tür brachte dann Auslandsinvestitionen und einen pragmatischen Sozialismus, den keiner so richtig verstand. Die Massaker am Platz des Himmlischen Friedens, 1989, zeigten, dass Demokratie westlichen Zuschnitts eine Illusion war. Peking heißt jetzt Beijing, und die Chinesen haben in der Weltöffentlichkeit einen unheimlichen Sprung nach vorne gemacht: die Medien berichten jetzt viel häufiger und viel genauer über das Land, das nicht mehr lächelt.

                                              Chinesische Ausstellung in London!

Eine Reise durch China öffnet Augen, lässt aber trotzdem vieles im Dunkeln. Äußere Eindrücke helfen da, ein Puzzle zusammenzusetzen, das der offiziellen Berichterstattung über das Land nicht gerecht wird. Die Millionenstadt Xi'an (Sian) zum Beispiel, eine Stadt, die schon vom 7. bis 10. Jahrhundert unter der Tang-Dynastie als Hauptstadt Chinas nicht nur Kaiser, sondern auch Kaiserinnen hervorgebracht hat, kannte eine solche kulturelle Entwicklung, dass davon erzählt werden muss: Das (Schieß)Pulver wurde dort erfunden. Die Streichhölzer (im Jahr 577), das Porzellan (um 700) und die tickende Wasseruhr (725). Etwas weiter zurück liegt der erste Buchdruck mit Stempeln. Entwicklungsland wurde China erst durch die Neuzeit.


Bleiben wir in Xi'an: Ich habe noch nie ein größeres Verkehrschaos erlebt, teilweise, weil ganze Straßenzüge mit mehreren Fahrbahnen gleichzeitig gebaut wurden. Dazu Hochhäuser, für landflüchtige Bauern, die zu Tausenden täglich in die Großstädte strömen, um Arbeit zu finden. Verkehrsunfälle konnte ich keine sehen. Radfahren ist eine Existenzfrage und eine Lebenseinstellung. Radfahrer kommen am schnellsten voran. Autofahrer nutzen die Staus, zum Lesen, Essen, Rauchen und Telefonieren, was eigentlich verboten ist. Tägliche Zuwanderung: In Chongqing am größten. Die damals eindeutig größte Stadt der Welt, mit über 30 Millionen Einwohnern, nahm täglich 3 Millionen "Gastarbeiter" auf. Diese Dimensionen sind auch anderswo sichtbar und erschüttern den Europäer. In Xi'an, das muss man natürlich auch wissen, wurde die berühmte Terrakotta-Armee entdeckt, die dort zu besuchen ist. Ob sich das alles in den vergangenen Jahren geändert hat? Ein Besuch Chinas lässt bei westlichen Beobachtern die Augenbrauen hoch gehen. 

Mittwoch, 20. Juni 2012

Das Sprachenchaos

Voulez-vous coucher avec moi? Fuck the Police. Leck mich! So oder ähnlich kommen erste Versuche zutage, eine andere als die Muttersprache zu lernen oder gar zu beherrschen. Das Kopfkissen scheint in der Tat eine probate Methode zu sein, den Katalog der kommunikativen Kompetenz zu erweitern. Statt mit dem Rohrstock auf die Finger geklopft zu bekommen, wenn man einen Fehler macht, wird man unter Umständen liebevoll gestreichelt, sollte einem ein Lapsus passieren. Aber nur fleißiges Pauken führt zu Sprachkompetenz.

Der weltläufige Mensch weiß natürlich, dass als Fremdsprache nur Englisch infrage kommt. Selbst die hundert verschiedenen Arten und Unarten, diese ehemalige Shakespearesprache zu verunglimpfen, haben daran noch nichts geändert. Was aber tut ein Engländer oder Amerikaner, wenn er reisen möchte? Er sagt sich, dass jeder Irre, an jedem Ort dieser Welt genug "Parlez-vous anglais"? auf die Matte bringt, um den Anglophonen das Leben zu erleichtern. Was  ist jedoch mit den anderen? Es gibt Milliarden davon. Die sprechen Chinesisch, Hindi, Spanisch, Russisch, Türkisch, Deutsch und Französisch. Vergessen wir dabei Holländisch, Norwegisch und Isländisch nicht, und all die anderen, die ein Recht haben, die Sprache zu benutzen, die ihnen ihre Mammi ins Körbchen gelegt hat.

Gibt es also die guten Sprachen und die schlechten? Abgesehen vom Kopfkissengeplaudere derer, die zwei verchiedene Sprachen sprechen und sich doch so gut verstehen, kommt die Muttersprache als das einzig Richtige infrage. Einer meiner Söhne kam einmal aus dem Kindergarten in Frankreich und sagte: "Komisch, wie sie das gemacht haben". Damit meinte er, dass Französisch lediglich für ihn erfunden wurde, um ihn zu ärgern. Dann wurde Englisch seine erste Fremdsprache. Als man europaweit das Erlernen von Fremdsprachen propagierte (es war, wie so oft, der Europarat, der damit begann), stellte sich gleich heraus, dass nicht eine, sondern mindestens zwei, wenn nicht gar drei Fremdsprachen erlernt werden sollten.


Rein statistisch ist Deutsch in Europa häufiger Muttersprache als Englisch, Spanisch oder Französisch. Nur Russisch wird in Europa von mehr Muttersprachlern gesprochen. Weltweit kommen dann noch Arabisch, Türkisch, Portugiesisch, Indonesisch, Chinesisch, Japanisch und Hindi hinzu. Und noch ganz andere Sprachen. Dennoch könnte es sein, dass Chinesisch eines Tages  das Englische als Weltsprache überholt. Es geht dabei nicht um die 2 Milliarden Chinesischsprachler, sondern wie die Bevölkerungsentwicklung aussieht: In den meisten Ländern gibt es in jedem Städtchen bereits ein Chinarestaurant, oft mehrere. Dabei entstehen kleine Sprachkolonien, die allmählich wachsen. In den USA gibt es überall Chinatowns, in denen zwar manchmal Englisch gesprochen wird, aber auf Chinesisch lässt sich ein ganzes "Immigrantenleben" führen. Wie gesagt: rein statistisch sind Chinesisch und Hindi auf dem Vormarsch. Wie die Weltsprache Englisch das überleben wird, ist mir ein Rätsel. Schließlich ist die weiße Rasse dabei, demographisch und jeden Tag an Boden zu verlieren. Mich stört das nicht. Auf Elsässisch sagt man "Schisswedder", auf Englisch "Shit weather". Was das bedeutet, vertseht auch ein Russland-Deutscher.

Montag, 18. Juni 2012

Kama Sutra - was für ein Skandal!



Der deutsche Übersetzer hatte sich über einige Stellen so geschämt, dass er sie nicht ins Deutsche, sondern ins Lateinische übersetzte, was dann nur die Gebildeten verstanden. 1884 war ein Richard Francis Burton der Übersetzer aus dem Sanskrit in das Englische. Schlüpfrigkeit war dabei nur ein Aspekt. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass unsere Kirchen, sowohl die ganz rechtgläubige, als auch die reformierte, das Geschlechtliche als eine schamlose Überschreitung menschlichen Tuns ansahen. Man kam als Katholik aus dem Beichtstuhl nicht mehr heraus, wenn man sich auf solchen Schweinkram einließ. Kamasutra als einfache Verse des Verlangens zu orten, ist zwar richtig, trifft aber nicht jenen Aspekt, der die einen erröten, die anderen sich in dunklen Ecken verstecken ließ. Nein, das Kamasutra ist, was die erotische Liebe betrifft, ein erheblicher Teil unserer Weltkultur.

Vermutlich hat sich der Dichter Vatsyayana Mallanaga irgendwann zwischen 200 und 300 nach Christus an das Werk gemacht, nichts ahnend, was die Spätfolgen für Europas Unschuld und Nachtruhekultur sein könnten. Für manche, wie etwa für mich als Zehnjährigem, war schon das Wort Kamasutra mit Schmutz behaftet, bedeutete es doch das hemmungslose Sichhingeben an Ichweißnichtwas. Und die Wissenden unter uns, hatten das Buch in einer gefälligen Ausgabe gelesen und geschwiegen.

Das Herkunftsland von Kamasutra ist also Indien, das mir auch heute noch recht prüde vorkommt. Während in der westlichen Welt auch mal Noten über den Straßenstrich verteilt werden und kleine Mädchen offen mit ihrer ersten Blutung protzen dürfen, wird Sex in Indien wie eine heiße Kartoffel behandelt. Der intime Indienkenner Mark Tully (India's unending Journey - Indiens endlose Reise) hat den Autor, Vatsy..(ich wiederhole diesen Namen nicht!) als einen seriösen Forscher menschlichen Verhaltens geschildert, der vor allem die vier Hauptaspekte zur Erlangung eines guten Lebens hervorhob: "dharma", oder die Tugend und die religiöse Entfaltung, "wartha", oder die Prosperität, "kama", das Verlangen, die Liebe und das Erotische an sich. Das eigentliche Endziel war das "moksha", die Befreiung von Leid und dem Zyklus von Tod und Wiedergeburt.


Also kein Schweinkram, wie wir gerne glauben möchten, obwohl die gängigsten Stellungen nicht nur aufgezählt und beschrieben, sondern auch drastisch in Stein gemeißelt sind, außen und innen. wenn man einen der unzähligen Tempel besucht. So heisst eine berühmte Stellung, von der unsere Großmütter nicht einmal träumen konnten, "die Rossantilope", oder "der Schmetterling". Bei größerer sexueller Ausdauer kann man auch noch den Patronengurt, die Anbetung oder den Klammergriff anwenden. Alles Dinge, die das Leben sauinteressant machen können. Man hüte sich jedoch davor, in Indien von Kamasutra zu sprechen. Ein müdes, gelangweiltes Lächeln huscht dann über das Gesicht des oder der glutäugigen Einheimischen. 

Samstag, 16. Juni 2012

Wie schnell alles geht.

Jetzt ist im Badischen die Kirschenzeit angebrochen. Die Spargeln sind schon dabei, sich zu verabschieden. Himbeeren sind aufgetaucht. Bald ich auch die Bühler Frühzwetschge dran. Dann geht es durch den Sommer. Dann ist der Herbst gefragt, und der Winter, mit seiner Weihnachtspanik, produziert schon im Oktober die Zimtsterne. Da soll man nicht merken, dass alles viel schneller geht als früher?


Als Kleinkind - ich konnte gerade stehen - gab mir Mama mal die Flasche, voll warmer Milch, zu halten. Ich blickte von einem Hocker auf den Boden und dachte (jawohl, ich habe schon als Baby gedacht), was passieren würde, wenn ich die Milchflasche einfach hinunterwürfe. Ich tat es, Mama kam herbeigesprungen und deutete auf die Scherben. Außerdem lachte sie gnädig, obwohl meine Provokation etwas kontraproduktiv war. Zum Glück verspürte ich die elterliche Liebe. Ich musste nicht darum ringen. Auch Großeltern, Tanten, Onkel und Nachbarn gehörten zu den Sympathisanten. Die Kindheit schien endlos.

                                          Pubertät war angesagt. Auch das ging gut. Der Anstandsunterricht, als Nebenprodukt der Tanzstunde, war nicht nötig. Ich wusste schon, wie man sich benimmt. Meistens. Eine aufregende Zeit begann, denn die Mädchen traten als Vertreterinnen eines anderen Geschlechts auf und sorgten für Verwirrung. Ach ja, welchen Beruf hatte man sich ausgedacht? Plötzlich wurde man gesiezt und wie ein Erwachsener behandelt. Dann der Beruf, die Heirat, die Kinder. Viel Arbeit, alles in allem.

Dann werden die Kinder groß. Es gibt einen ersten Infarkt. Es kann auch ein Magengeschwür sein. Die Großeltern leben nicht mehr, die Eltern werden gebrechlich. Sie gehen für immer, und man ist allein. Die Perspektive dreht sich. Aber auch die Enkel werden schnell größer. Der erste (ein cleveres Mädchen) studiert schon, und das Interesse für den alternden Menschen lässt etwas nach. Man fällt aus der Zeit. Noch ein wenig Creme gegen die Falten. Frauen haben drastischere Mittel, das "Ageing" hinauszuschieben. Im Fernsehen wird ohnehin immer geschminkt und in der Regel sieht man dort über 10 Jahre jünger aus als man ist.

Wie konnte es passieren, dass aus dem einst von Eltern gehätschelten Kind ein brüchiges Gestell wurde, das täglich seine Tabletten schluckt, sich über reife Kirschen freut, mit seiner Frau, die immer noch etwas verwirrend auf Männer wirkt, am Frühstückstisch sitzt und Debussy hört? Etwas Glück ist geblieben. Aber, warum geht alles so schnell?


Freitag, 15. Juni 2012

Erbswurst, oder so.




Es ist schon irgendwie pervers. Oder doch nicht? Der Mensch isst gerne gut, und das ist relativ. Da sitzt man gelegentlich (nicht zu oft, bitte!) in einem total erlauchten Esstempel. Feierlich wird die Speisekarte gebracht. Man wirft einen routinierten Blick hinein, und dann beginnt das Raten. Schließlich wird man mit einer gefüllten Kalbsbrust oder einem badischen Sauerbraten fündig. Die Vorspeise schenkt man sich, aber man freut sich auf den Gruß aus der Küche. Meist lohnt es sich. Manche verstehen es wirklich, den Magen mit kleinen Leckerbissen zu ergötzen. Wenn man das richtige Gasthaus gefunden hat, weiß man, was man erwarten kann. Die Rechnung ist meist etwas gesalzen, das Essen hoffentlich weniger.

Dann passiert es: ich streife in einem Supermarkt umher, den ich für seine forschen Preise nicht sehr schätze, jedoch für die große Auswahl an Waren. Ich kann es nicht glauben: hier liegt ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten: bescheiden, rund, 1,29 €. Es ist eher eine Rolle, könnte auch eine langgezogene Klorolle sein, etwas dünner jedoch: Knorr Erbswurst seit 1889, heißt es da. Gelb mit Speck. 135 Gramm. Ich erinnere mich nur an die Erbswurst grün. Macht nichts, ich kaufe sie. Sechs Teilstücke ergeben 6 Teller Suppe. Mindesthaltbar bis September 2013. Die Zutaten sind von klassischer Ehrlichkeit: 71% Erbsmehl, 7% geräucherter Speck, dann natürlich Geschmacksverstärker, Hefeextrakt, Speisesalz, Raucharoma usw.

Für 1 Teller nimmt man einen Viertelliter kaltes Wasser, versenkt darin ein zerbröseltes Teilstück, bringt dieses unter Rühren zum Kochen und wartet drei Minuten. Komme jetzt keiner auf die Idee, es handele sich hier um Fast Food. Keiner der einschlägigen Futterfritzen hat Erbswurstsuppe im Angebot. Wer noch einen etwas älteren Gaumen besitzt, wird sich an die Köstlichkeit einer Erbswurstsuppe gerne erinnern, zumal dazu oft noch ein frisches Brötchen gereicht wurde. Jetzt sitze ich vor meiner Suppe und habe den Gedanken an den Esstempel längst über Bord geworfen. Sie ist köstlich, weil ich selbst noch Hand angelegt habe: Aus der Tiefkühltruhe holte ich eine Handvoll gefrorener Erbsen, warf sie in die Suppe,  rührte noch etwas Sahne hinein und überzuckerte alles mit feinst geschnittener Petersilie. Echt Schickimicki. Mein Gruß kommt aus der Küche.

Donnerstag, 14. Juni 2012

Zuckersüchtig? Zuerst das Frühstück

Nach drei Tagen Konferenz und Begegnung in Sarajevo kam sie gestern Abend spät nach Hause. Heute früh wartete schon das Frühstück auf sie: Porridge mit etwas Banane. Dazu: Kirschen, Erdbeeren und ein paar Erbsenschoten. Mein Frühstück sah etwas üppiger aus. Ich freute mich darauf. Dann legte sie mir einen Artikel vom 12. Juni 2012 aus dem britischen Guardian vor: "Elastic nation", übersetzt, etwa: "Dehnbares Volk", oder elastische Nation. Autor: Jaques Peretti. Bevor wir aber über die allseits grassierende Dickleibigkeit sprechen, möchte ich mein Frühstück beginnen. Perettis Untertitel lautet sinngemäß: Wir sind heute im Schnitt 19 kg schwerer als in den 60ern. Und das nicht, weil wir mehr essen oder weniger Bewegung haben, sondern weil wir unbewusst zuckersüchtig geworden sind. So weit hatte ich gelesen, als ich mir eine Scheibe Brot mit verschiedenen Wurstsorten belegte. Diese Wurst gibt es im Supermarkt. Ansprechend verpackt: 30 kleine Scheiben Gourmet Spezialität  aus einem der neuen Bundesländer. 120 Gramm gekochtes Mett mit Geleerand, Leberwurst, Rotwurst. Äußerst schmackhaft. Es ist nicht das erste solche Wurstpaket, das ich auf den Frühstückstisch gelegt habe.

Jetzt renne ich in die Küche, suche die Verpackung und finde sie: Zutaten: Mett: Schweinefleisch 72%, andere Angaben sind nicht beziffert: Zucker. Leberwurst: Schweinefleisch 65%, Schweineleber 21%, Dextrose, Zucker, Maltodextrin, Glukosesyrup. Wieviel Zucker also? Rotwurst: Schweinefleisch 55%, Gewürzextrakte (???), Dextrose, Zucker. Andere Angaben lasse ich wegen der erhofften Klarheit weg. Zum Glück habe ich das Brot mit der Wurst schon gegessen. Lecker. Jetzt kommt die Marmelade dran. Kirschmarmelade, Orangenmarmelade und Tannenhonig sehe ich vor mir. Alles ohne Zucker? Im Gegenteil! Auch mein Kaffee ist gesüßt, allerdings mit Rohrzucker.

Trotz Datenschutzgemurmel bekenne ich, dass mein Gewicht seit einiger Zeit nicht mehr runter-, sondern raufgeht. Von 83 auf 88 kg. Dabei esse ich eher weniger, und ich bewege mich so gut es geht. Also ist es der Zucker. Ich zweifle nicht mehr daran, denn ich habe diesen Artikel von Peretti gelesen. Glückwunsch, Herr Peretti, denn sie schreiben unter anderem folgendes (ich versuche, zusammenzufassen, ohne zu entstellen):
Das Vereinigte Königreich befindet sich in einer Dickleibigkeitskrise (Obesity crisis), denn unsere Nahrung enthält zu viel Zucker. Die Nahrung in Deutschland steht dem in nichts nach (sage ich).

                                                               Überall Zucker?


Jahrelang wurde das Fett als schuldig ausgewiesen. Stimmt natürlich auch bis zu einem gewissen Grad. Wird wohl auch in Deutschland stimmen (sage ich).
In Japan begann man in den 70ern, einen billigen Glukosesyrup aus Mais zu gewinnen, der zuerst in den USA, dann überall in der westlichen Welt in alle Nahrung gepumpt wurde, die dadurch schmackhafter wurde und den Zucker teilweise "ersetzte".
Da dieses Zeug billiger als Zucker ist, wurde es auch von Coca-Cola ab 1984 verwendet. (Coca-Cola Light? Dass ich nicht lache!). Damit ist jedoch der Zuckergehalt nicht  zurückgegangen. Die Weltöffentlichkeit stöhnte damals noch nicht über das Fettsuchtübel, obwohl ich mich erinnere, dass Sarghersteller in den USA schon von einer steigenden Produktion von Übergrößen sprachen.
Heute verbraucht der Konsument etwa 40 kg Zucker pro Jahr. Drei Viertel des in England hergestellten Zuckers geht in die Industrie. In Deutschland? In den USA?
Die Kosten für das Gesundheitswesen in Großbritannien betragen etwa 6 Milliarden €, was die Folgen der Dickleibigkeit betrifft. Die Gewinne aus der Imbiss- und Konfektindustrie belaufen sich auf etwa 9 Milliarden. Der Kampf gegen Obesität wird jedoch immer teurer.

                                                            Zucker, überall!


Die einschlägige Forschung ist sich sicher, kann es aber wegen der starken Zuckerlobby (noch) nicht beweisen, dass wir inzwischen alle zuckersüchtig geworden sind. Manche Forscher wurden wegen ihrer Meinung als verrückte Querköpfe diffamiert. Das kennt man ja. Man denke an die Zigarettenindustrie. Wie lange hat es gebraucht, um die Gesundheitswarnung auf die Zigarettenpäckchen zu bekommen und die Lokalverbote durchzusetzen? Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen: von der Autolobby verhindert? Ich kann es nicht beweisen. Warnung an alle: Zucker kann tödlich sein! 

Mittwoch, 13. Juni 2012

Bloggen was das Zeug hält

Die Ägypterin Asmaa Mahfouz protestierte wirksam gegen die Willkür von Präsident Mubarak. Sie youtubte, twitterte, facebookte und bloggte. Den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments 2010, gestiftet für geistige Freiheit, erhielten 4 weitere Aktivisten aus der arabischen Welt. Das war etwas Neues. Asmaa sahen wir im Februar bei einem Frauenkongress in Bangalore, Indien. Solche Menschen wissen, wie man die Welt erschüttern kann. Politiker sollten endlich das Fürchten lernen, wenn sie glauben, sie könnten das Volk weiter für dumm verkaufen.


Ich bin manchmal benebelt von den ungeheuren Möglichkeiten des Bloggens, obwohl ich ein kleiner Fisch bin. Immerhin geht man täglich bis zu 40 mal in meine Blogs. Erste Stelle, natürlich Deutschland, denn ich schreibe auf Deutsch. Erstaunlich, dass weltweit Russland, die USA und Frankreich folgen. Heikel ist es, wenn man Beleidigungen ausspricht. Ein Wutausbruch ist jedoch immer erlaubt. So habe ich vor kurzem einen silbergrauen Jaguarfahrer ein Arschloch aus Freiburg genannt. Das nehme ich nicht zurück. Er soll sich freuen, dass er (noch) nicht wegen Nötigung, versuchter Körperverletzung und Gefährdung des Verkehrs angezeigt wurde. Aber vielleicht sitzt er bereits, denn solche Raser werden irgendwann auch erwischt.

Jetzt hat es einen Blogger aus Moskau getroffen. Er hatte gegen Putins kesse Machtergreifung protestiert, und schon kam die Polizei und verhaftete ihn. Solches ist der Anfang eines individuellen Aufruhrs. Der Tsunami kommt dann etwas später, dafür aber unverhofft. Mittel dagegen gibt es nicht. Kapiert das Putin eigentlich? Ich hielt ihn für intelligent. Kremlfatzke, könnte man ihn nennen. Zum Glück müssen wir hier nicht befürchten, wegen Verbalinjurien eingelocht zu werden. Oder hat der Datenschutz bei uns auch schon versagt?

Dienstag, 12. Juni 2012

Gehirnmasse ist nicht alles

Wir benötigen sehr lange, bis wir kapieren, dass die Größe des Gehirns mit der Intelligenz nichts zu tun hat. Glückliche Frauen: Ihr Gehirn ist an Masse kleiner als das männliche, deshalb ist es vielleicht auch schwerer zu beschädigen, und die animalische Intelligenz mancher Weibchen, ihre potenziellen Liebhaber rumzukriegen, ist erstaunlich. Darüber sollte man sich als Mann nicht beklagen. Bei etwa hundert Milliarden Gehirnzellen des durchschnittlichen Männerhirns mit ca. 1,4 Kilo Gesamtgewicht, bleibt genug, um als Frau, mit ein paar Milliarden weniger, allerlei Schabernack zu treiben. Wie schön, wenn das östrogenverseuchte Wesen sich nur auf den Fang des Testosteronträgers kapriziert.


Auch Tiere sind nicht ganz ohne. Der Wal bringt über 9 Kilo Gehirn auf die Waage, und die Schafe (diese wolligen Strickbuster, die man an den kugelförmigen Ausscheidungen erkennt, oder einfach, wenn sie "bÄÄÄÄ" rufen) können bis zu 50 Ihresgleichen am Gesicht erkennen und bis zu 10 Menschen. Allerdings lässt das Gedächtnis nach 2 Jahren etwas nach, was man von einem Elefanten nicht behaupten könnte. Er erinnert sich noch nach Jahrzehnten an eine menschliche Begegnung, wenn diese ihm etwas bedeutet hat.


Manchmal frage ich mich aber doch, ob meine Gehirnmasse ausreicht. Das Überleben mit Hilfe des Gehirns ist ja recht begrenzt. Man muss sich schon etwas einfallen lassen, um älter als Jopi Heesters zu werden. Dieser hat jedoch bis in sein hundertstes Lebensjahr geraucht wie ein Schlot. Das richtige Training des Gehirns beginnt wohl mit dem Versuch, eine äußerst vitale Erbtante um die Ecke zu bringen, ohne, dass der Kommissar es bemerkt. Ständiges Grübeln bringt den denkenden Menschen ganz sicher weiter. Deshalb sind wir auch daran interessiert, wie es mit Griechenland weitergeht, wie aufgespannt der Rettungsschirm ist, und warum Christian Wulff die ihm zur Verfügung stehende Gehirnmasse nicht besser  zum Einsatz gebracht hat. Wer es so weit gebracht hat, sollte nicht beim bescheidenen Einheimsen eines Ehrensoldes stehen bleiben. Nüsse sollen für das Wohlergehen der Gehirnmasse sehr vorteilhaft sein. Wie wir es auch drehen: ich glaube nicht, dass die addierte Gehirnmasse aller Menschenwesen ausreichen wird, unseren nicht allzu großen Planeten zu retten, wenn er das will.

Hilfe! Sie sind da.

Da wartet man ängstlich, bis es endlich losgeht: Um 7Uhr30 ist es dann soweit. Es klingelt an der Tür. Ein kräftiger Vorbote dessen was geschehen soll, zeigt sich mit einem enormen Werkzeugkasten. Er schaut sich das untere Bad an. Kurze Besprechung. Dann muss das Wasser im Haus abgestellt werden. Das Bad wurde vorher schon gründlich geleert: kein Handtuch, keine Klorolle mehr, die Bademäntel verschwunden.


Schon ist die Kloschüssel entsorgt. Die Duschwanne (mein Gott, wie lange wir dieses unsägliche Teil ertragen haben!) hat das Haus bereits verlassen. Der zweite Handwerker taucht auf. Letzte Besprechungen. Soll man den Handtuchhalter entfernen? Die Handtuchhaken? Man soll. Draußen regnet es. Ich versuche, die Zeit mit Sudokus und Deutschlandradio zu überbrücken. Dazwischen schaue ich mir den entstandenen "Schaden" an. Das Bad wirkt ohne Klo, Duschwanne und Heizkörper viel größer. Wenn Cath nach Hause kommt, soll alles fertig sein. Nein, sagt man mir, bis gegen Ende der Woche erst. Also muss Cath auch noch ein paar Tage im Chaos leben.

Dann aber werden wir das neue Bad erst mal richtig genießen. Die Duschwanne wird größer. Das Klo erhält einen Deckel mit Stoßdämpfer. Das Waschbecken ist kleiner, spart etwas Platz und hat einen schicken Knick an der Seite. Damit kurbeln wir die Wirtschaft ein wenig an, was im Hinblick auf die Lage in Griechenland, Portugal, Irland und Spanien wichtig ist. Also gibt es demnächst zum Essen verstärkt Oliven aus Kalamata, Vinho Verde, Irish Stew und Jamón de Serrano. Die Kloschüssel darf dann ein deutsches Produkt sein. Oder kommt sie etwa auch aus China? 

Montag, 11. Juni 2012

Sie flattern wieder für Deutschland

Ich schaute gerade einen Teil des hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England an. Mensch, schieß doch ! Es war ein doofes Spiel. Eins zu eins. Reizlos. Der eine versucht eine Schwalbe (für Mädchen, die neu sind: es legt sich einer hin, obwohl er nicht gefault wurde), der andere unternimmt einen erfolglosen Fernschuss. Beide Mannschaften haben sich vorgenommen, nicht zu gewinnen. Und das, auf schalem Niveau. Ich aß meine Suppe, ging ausgiebig aufs Klo und telefonierte mit einem Freund. Dann schaute ich wieder ein bisschen. Es hat sich überhaupt nicht gelohnt.

Seit einigen Tagen fahren sie wieder. Die mit den Fähnchen auf beiden Seiten. Manche haben es auch staatstragend. Ihre Fahne hängt genüsslich aus dem Fenster. So groß wie ein Scheunentor. Die erotische Variante, nämlich die schwarzrotgoldenen Strümpfe, die wie ein Kondom über die Außenspiegel des Autos gezogen sind, wird von denen bevorzugt, denen das Geflattere auf den Geist geht. Sollte es zu einer Konfrontation zwischen England und Deutschland kommen, wird die Demarkationslinie wieder durch unser Schlafzimmer gehen. Meine englische  Angetraute ist immer sehr aggressiv auf Bundesfussball eingestellt. Ach, die Deutschen spielen wirklich einen guten Fussball. Ich sehe indessen in dem befürchteten Kampf eher eine Neuauflage der enthemmten Medienkampagne gegen die alten Teutonen. Dabei bin ich in den englischen Fussball alles andere als verliebt, und die Deutschen kommen mir beim Kicken manchmal etwas verbissen vor. Witzig sind die türkischen oder italienischen Autofahrer, hier im Lande: ihr Fähnchen auf der einen, das deutsche auf der anderen Seite. Friede auf Erden.



Ich werde mir einen großen Korb Kirschen besorgen und ununterbrochen essen. Die Kerne spucke ich dann ins Abseits.


Sonntag, 10. Juni 2012

Schlucken was gesund macht?

Damit keine Missverständnisse aufkommen: die Pharmaindustrie tut viel Gutes. Sie verdient zwar ein Saugeld an den Gebrechen der Menschen und manchmal sogar der Tiere, aber sie hat auch Verdienste. Viele könnten gar nicht leben, ohne den täglichen Einwurf von Tabletten, Pillen und Tropfen. Bei den einen muss das Blut verdünnt werden, damit es nicht zu Thrombosen kommt, bei den anderen wird der Blutdruck gesenkt, der durch steigende Preise und ähnliches nach oben getrieben wird. Auch der Cholesterinspiegel ist so ein Problem. Und dann die Vorbeugung, die überaus notwendige Prophylaxe. Was muss man da nicht alles schlucken, um über die Runden zu kommen. Wie gesagt, wir arbeiten alle daran, dass das Gesundheitswesen vorankommt, und niemand würde die Genugtuung leugnen, die sich einstellt, wenn man die tägliche Dosis wieder einmal eingenommen hat. Dem Zerfall ein Schnippchen schlagen. So sieht die gefühlte Zufriedenheit von Pillenschluckern aus.


Geht man in die Apotheke, so sitzen dort die Mittelchen schön geordnet in ihren Regalen und lachen dich an. Fenistil, eine Salbe. Capval, ein Mittel gegen Reizhusten. Bepanthen, eine Wund- und Heilsalbe. Vomex A, Dragees gegen Erbrechen. Loperamid AL Akut, Kapseln gegen Durchfall. Omeprazol, bei Sodbrennen und saurem Aufstoßen. Gut, ich gebe zu, dass wir uns da auf eine Sache eingelassen haben, die erst in einigen Tagen beendet sein wird, wenn dann alle in Apotheken verfügbaren Medikamente aufgezählt sind. Probleme habe ich schon beim Lesen der Namen, die für oft einfache Gebrechen erfunden werden. Es muss international, etwas lateinisch und mysteriös klingen, damit es beim Patienten ankommt. Natürlich sind akute Blutungen etwas anderes als potenzielle Blutungen. Magengeschwüre sind keine Magenverstimmungen. Undsoweiter. Dafür sollte es eine klare Sprache geben. Schön wäre es, wenn die Mittelchen in den Apotheken erkennbar angeordnet wären: Hals- Nasen- Ohren- Magen- Krampfadern- Herz- Lungen- Blutdruck- Mittel. Denn das versteht der Mensch. Lateinisch haben die wenigsten in der Schule gehabt.

Also, ich schlage mich herum mit (Datenschutz muss nicht beachtet werden. Ich stehe zu meinen Gebrechen) Clopidogrel, Simvahexal und Atacand. Monate habe ich gebraucht, um das Zeug einordnen zu können. Dabei muss ich auch noch Lefax (Blähungen), Opiclon-CT (Schlafen), Doliprane (französisch), gegen Schmerzen und Fieber parat halten, damit ich bei den ersten Symptomen nicht gleich ins Schleudern gerate. Wie wäre es mit einer Gesundheitsreform, die dem Patienten die Einnahme von Medizin mit verständlicheren Namen etwas versüßt? Habt euch nicht so, ihr Pillen-fabrikanten und -dreher. Ihr verdient ausreichend und könnt ein wenig von eurem verquasten Ross herunterkommen. Oder soll ich euch etwa Movicol empfehlen, ein Pulver gegen chronische Verstopfung?

Freitag, 8. Juni 2012

Es war die Bauchspeicheldrüse

Rabenschwarz befallen mich die Gedanken in der Nacht. Dann muss ich an sie denken. Es ist lange her, dass meine Eltern starben. Meine Mama war die erste. Wenn ich sie zuhause besuchte saß mein Vater an ihrem Bett. Ihre Augen bekamen den Glanz einer liebenden Mutter. Er galt auch meiner Schwester, die nicht so schnell an ihr Bett eilen konnte, denn sie lebt in den Vereinigten Staaten. Nur ganz selten kam sie über den Großen Teich. Ich hatte eine Arbeit im Ausland. Als ich nach Paris ging, sagte meine Mutter: Jetzt werden wir auch dich kaum mehr zu sehen bekommen. Dann, lange vor ihrer Krankheit, zog ich nach Straßburg und war froh, nur noch eine Stunde Autobahn bis zu meinen Eltern zu haben. Ich besuchte sie gerne, war ein guter Sohn, rief fast täglich bei bei ihnen an.

Dann kam sie ins Krankenhaus. Es sah nicht gut aus. Sie hatte noch meinen Vater und dessen Schwester, um bei ihr zu sein. Meine Besuche waren sporadisch, denn ich hatte viel Arbeit. Als ich gerade dabei war, eine jener Sitzungen zu beenden, die immer halb Europa nach Straßburg brachten, öffnete sich die Tür zum Sitzungssaal. Meine vertraute Kollegin Maura wartete auf mich. Ich spürte es sofort. Sie will mir etwas sagen. "Deine Frau rief gerade an, Deine Mutter ist gestorben". Wie ein Hammer traf es mich. Ich konnte mich nicht mehr von Mama verabschieden.

Hier ist es, das Schicksal des modernen Menschen, der nicht an der Scholle klebt, sondern hinaus geht: es geschehen Dinge, die du nicht kontrollieren kannst. Ich war nicht da, als Mama uns verließ. Meine Schwester kam zur Beerdigung. Dann, kurz danach, wurde Papa krank. Der Chefarzt, ein guter Bekannter, sagte zu mir: Wir behalten ihn etwa zwei Wochen im Krankenhaus, zur Beobachtung. Es war Sonntag, als ich ihn in die Klinik brachte. Die Schwester sagte, er wird die Nacht gut schlafen. Ich musste wieder nach Straßburg, denn am Montag hatte ich wieder eine Sitzung. Diesmal kam Maura, die Schicksalsgöttin, bis zu meinem Platz am oberen Ende des Tisches. Ich wusste sofort, was geschehen war. Mein Vater war in der ersten Nacht im Krankenhaus verstorben.

                                                               Schwesterlein


Manchmal werde ich die düsteren Gedanken nicht mehr los. Ich habe meine Eltern verraten. Weder bei Mama, noch bei Papa war ich zur Stelle, als sie mich brauchten. Ein schlechter Sohn. Jetzt sehe ich auch meine Schwester nur selten und denke: vielleicht war es mein letzter Besuch. So geht es im Leben: man hofft und vergisst, und dann bricht alles über dich herein. Meine geliebten Eltern, ich lebe fortan mit euch in meinen Gefühlen, und weiß, dass ich nicht alles richtig gemacht habe. Wie wird es mir ergehen? Werden die Meinen auch nicht da sein, wenn ich sie brauche?

Donnerstag, 7. Juni 2012

Gabelfrühstück an Bord der Hamburg

Wir schreiben das Jahr 1939. Die Hamburg Amerika Linie fährt am 9. Mai in Richtung New York, das Hauptmenü an Bord des Dampfers "Hamburg" besteht aus: Hummersuppe, dann kommt Gebackene Bostoner Seezunge an Sauce Verte. Rehragout mit Semmelklößen oder Gebratene Lammkeule, Gemischtes Gemüse, Herzoginkartoffeln. Zum Nachtisch: Eisbecher Imperial. Auch Holländer Käse und Kräuter Käse. Dazu: Frucht, Kaffee, Tee. Auf besonderen Wunsch, ab 22Uhr30: Belegte Butterbrote.


Am 12. Mai 1939 gab es dann als Gabelfrühstück (die englische Übersetzung war Luncheon): Gemüsesalat, Bismarck-Hering, Leberkäse, Geräucherte Mettwurst, Rote Beten. Oder: Nudelsuppe, Filetsteak, Mischgemüse, Pommes frites. Auf Wunsch: Gekochte Scholle, Petersilien-Sauce, Kartoffeln. Dazu: Gemischtes Rahmeis, Holländer Käse, Frucht, Kaffee, Tee. Nachmittags ab 16 Uhr: Kaffee, Kaffee Hag, Tee, Gebäck. Da der 12. Mai mein Geburtstag ist, hätte ich die gekochte Scholle genommen, womöglich mit einem Glas Weißwein. Aber mich hat ja keiner gefragt.

Was entnehmen wir diesen herrlich alten Speisekarten vom Dampfer Hamburg? Dass die Überfahrt mindestens vier Tage dauern musste. In Wirklichkeit dauerten solche Überfahrten bis zu 40 Tage. Was man nicht erfährt: wer im Mai 1939 von Hamburg nach New York gefahren ist. Ich vermute, jemand aus meiner Familie, eventuell meine tatenlustige Tante Maria. Als sie jedoch mit über 90 starb, hatten wir immer noch nicht über all diese Dinge gesprochen. Die Hapag, zeitweilig der Welt größte Schifffahrtsgesellschaft, fusionierte 1970 mit dem Norddeutschen Lloyd zur Hapag-Lloyd AG. Die international anerkannte TheShipsList hat keine Infos über Heiraten an Bord der Hamburg aufgelistet. Ich gehe also davon aus, dass meine junggesellige Tante, sollte sie es gewesen sein, nicht an Bord  geheiratet hat. Sie starb als Jungfrau Maria. Wer war sonst noch an Bord?

Mittwoch, 6. Juni 2012

Windelzuschuss für inkontinente Bürger

Also in der Gemeinde Stockstadt am Main (wohl bei Aschaffenburg), und nicht in Stockstadt am Rhein, gab es 2008 einen Marktgemeindebeschluss, für jedes Neugeborene 100 € Windelzuschuss zu bezahlen. Im 2. Jahr folgt nocheinmal ein solcher Zuschuss. In analoger Anwendung wurde hinzugefügt, dass auch inkontinente Personen diesen Zuschuss erhalten. Frage: was geschieht im 2. oder 3. Jahr der Inkontinenz? Der Gemeinderat wird dafür eine Lösung gefunden haben. Da ich noch nie von Stockstadt gehört habe, frage ich mich, wie ich darauf komme?

Die Geschichte geht so: ich krame gern. Es regnet draußen. Ich erwische den Karton mit alten Dokumenten und Fotos meiner Vorfahren. Darunter finde ich einen winzigen Taschenkalender aus dem Jahr 1945. Von Hand schrieb jemand darauf: Geheim. Ich erkenne die Schrift meiner Mutter, für mich heute fast unleserlich, und blättere begierig darin. Manche Seiten sind ganz eng beschrieben, andere blank geblieben. Der Januar 1946 ist noch mit angefügt, wie es sich gehört. Eintrag am 1. Januar 1946: Kurt Pullover gestrickt (das war mein Onkel). Meine Mutter muss gerade 30 gewesen sein. Turbulente Zeiten. Am Freitag, den 4. Januar schreibt sie: "Abfahrt mit den Krefeldern. In Stockstadt in der Mühle übernachtet, um 5 Uhr abgefahren. Ihm und 2 Frauen." Was gäbe ich heute, wenn ich Näheres erfahren könnte. Leider kann ich meine Mutter nicht mehr fragen.


                                                      Stockstadt??? Nie und nimmer!


Deshalb habe ich Stockstadt ergoogelt. Und siehe da: man lernt dazu. Im letzten Teil des Kalenders, der noch unter Adolf Hitlers Führung gedruckt wurde, sind "Deutsche Gedenktage" in winzigem Druck vermerkt. Ich greife wahllos einige heraus:
10.1.1920: Inkrafttreten des Versailler Diktates.
11.1.1932: Ruhreinbruch der Franzosen und Belgier.
23.2.1930: Horst Wessel seinen Verletzungen erlegen.
1.3.1935: Rückkehr des Saarlandes ins Reich.
8.3.1917: Graf Zeppelin gestorben.
22.3.1939: Rückkehr des Memellandes ins Reich.
27.4.1941: Einmarsch in Athen.
2.9.1933: 5. Reichsparteitag der NSDAP. "Sieg des Glaubens".
15.9.1935: Hakenkreuzfahne Reichsflagge Nürnberger Gesetze.
24.10.1648: Westfälischer Frieden.

Natürlich war die Kapitulation des Deutschen Reiches im Mai 1945 noch nicht im Kalender. Inzwischen heißen unsere Gedenktage: Gipfelkonferenz mit unseren ehemaligen Gegnern über einen gemeinsamen Rettungsschirm. Wie friedlich die Welt doch geworden ist. Mutter, warum warst du in Stockstadt?


Was ich möchte: ist es viel?

Alles möchte ich dir geben, dass du etwas hast vom Leben! Ist das ein zu hohes Ziel? Ist das ein zu hohes Ziel? So wird es in der Dreigroschenoper gesungen, wenn es nicht  "Der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Kurt Weill ist. Ich kriege es nicht mehr auf die Reihe. Was möchte ich? Was will der Mensch? Leben. Wissen. Gesundheit. Schönheit. Glück. Reichtum. Macht. Die Reihenfolge spielt keine Rolle, denn man möchte alles. Ist es viel? Man darf alles wollen. Aber ohne kriminelle Energie.


Jeder hat ein Recht zu leben, auch der Schwache und der nicht Sesshafte. Das Recht haben auch viele schutzbedürftige Tiere. Wissen setzt Neugier voraus. Es darf alles gewusst werden. Geheimdienste haben da aber nichts verloren. Nichtwegschauen ist wichtig. Gesundheit: man glaubt es nicht, wie wichtig das ist. Wenn man sich dieser Gesundheit ständig erfreuen darf, merkt man nicht, dass man gesund ist. Es könnte ja auch eine Illusion sein. Schönheit. Was ist das? Will ich schön sein? Vielleicht ziehe ich mir dann die falschen Bewunderer zu. Was mache ich mit dem Hässlichen im Menschen? (Jetzt bloß keine Politiker beim Namen nennen!) Schönheit kann auch das Hässliche überstrahlen, wenn sie von innen kommt. Glück: nichts für Unglücksraben. Sie ziehen das Glück nicht gerade an. Aber lässt sich das Glück herbeirufen? Reichtum: da kann man noch am besten etwas unternehmen. Ehrlich verdienen hilft da nicht. Da muss man kriminell werden, oder eben immer viel weniger ausgeben als man einnimmt. Die charitative Menschlichkeit bleibt dabei etwas auf der Strecke. Macht erreicht man auch durch Reichtum. Doch Klugheit ist besser. Die Macht der Überzeugung entsteht durch gute Argumente.

Wie immer man es dreht: Leben ist unser Reichtum. Solange wir wissen, dass wir gesund sind, ist das sehr schön. Glück gehabt. Reichtum ist als einziges verzichtbar. Macht sollte die Freiheit sein, nein zu sagen. Was wir möchten, ist es viel? Es kann leicht zu viel werden. Oder zu wenig. Es ist eben alles relativ. Manchmal kann man etwas für sein Leben tun.

Montag, 4. Juni 2012

Mumbai, Chennai, Leningrad

Es ist eigenartig, wie die Namen von Ländern und Städten sich mit der Zeit ändern. Manche Änderungen werden diplomatisch oder undiplomatisch erzwungen: Formosa wurde Taiwan und Leningrad wieder Sankt Petersburg. Eine Stadt in Kanada hieß zwischen 1854 und 1912 Town of Berlin, und es veranstaltet immer noch ein berühmtes Oktoberfest, und zwischen 1912 und 1916 wurde diese Stadt City of Berlin genannt. Dann wurde aus politischen Gründen Kitchener daraus. Und unsere nicht sehr geliebte Karl-Marx-Stadt wurde dann wieder zum geliebten Chemnitz. Was nicht heißt, dass aus Karl Marx Karl Chemnitz geworden ist.

                                        Und Istanbul war mal Konstantinopel


Berühmte Gurus haben dann schon mal ihren Namen geändert: aus Bhagwan , dem Verehrer von Rolls Royce und hemmungslosem Sex wurde Osho. Seine Frauen nannte er Ma und die männlichen Anhänger Swami. Namen sind eben nicht nur Schall und Rauch, sonst hätte nicht der etwas unseriöse Prinz von Sachsen-Anhalt, ein unadliges Adoptivkind, die spindeldürre Zsa Zsa Gabor zwar geheiratet, doch seinen vornehmen Namen trotzdem behalten. Burkina Faso hieß auch mal anders.
                                                        Ihn traf ich in Bangalore


Leningrad war gar nicht so übel als Namen. Was gar nicht geht, ist das totale Ausmerzen ganzer Epochen, indem man die Namen ändert. Bombay ist immer noch der Name des beliebten Bombay Saphire, der als Gin allerdings in London und nicht in Mumbai hergestellt wird. Leid tut es mir auch um den schönen Namen Madras. Warum heißt das jetzt offiziell Chennai? Man mag nicht gerne an die Kolonialzeit erinnert werden. Dahinter stecken immer welche, die etwas ungeschehen machen wollen. Wir haben keine andere Wahl: alles fließt, alles ändert sich, nur wir, wir bleiben die selben.

Sonntag, 3. Juni 2012

Baku und der Songcontest

Ich habe lange gebraucht, um diesen Abend zu verarbeiten. Das einzige Reizmittel dieses Wettbewerbs ist die Auszählung der Stimmen am Ende. Jahrelang habe ich dieses seltsame Theater ignoriert. Ganz am Anfang, als es noch übers Radio ging, gab es Spannung. Natürlich wusste man, dass bestimmte Länder aus bestimmten Gründen dem deutschen Sängeraufgebot nie eine Stimme geben würden. Das war dann meist auch so. Dass aber das allseits beliebte Großbritannien ebenso regelmäßig in den Keller gestimmt wurde, war irgendwie tröstlich. Schließlich hat Deutschland dann einen Achtungserfolg erzielt und den Wettbewerb gewonnen.  Und dann sogar wieder, vor nicht langer Zeit. Ach, was waren wir stolz.

Inzwischen wurde der Wettbewerb durch Effekte und einen in die Länge gezogenen Ablauf so hochgebrezelt, dass einem neugierigen Laien die Galle hochkommt. Man merkt auch, wie die zu erwartende Unintelligenz des Zuschauers mit einbezogen wird. Nur das "Allemagne, null point" klappt immer noch, obwohl unsere Freunde von "outre Rhin" der Singmacht Deutschland diesmal 4 Punkte zugestand. Wie gesagt, es war die Spannung des ins Endlose hinausgezögerten Endergebnisses, das wohl viele wachhielt, bis die Punkte zusammengezählt waren. Seltsam, wie die Griechen und die Zyprer sich ihre Punkte gegenseitig zuspielten, obwohl weder auf der einen noch auf der anderen Seite das geringste Musiktalent zu entdecken war. Aber auch die meisten anderen Wettbewerber fielen durch bodenlose Unmusikalität auf. Der Songwettbewerb hat sich zu einer international anerkannten Scheiße hochentwickelt. Wie wir ihn da wieder runter bekommen, weiß ich nicht.


Die Lichteffekte hat Aserbaidschan aber hin gekriegt. Das Land muss ungeheuer reich sein, um sich so einen leuchtenden Zirkus leisten zu können. Bei meinem ersten Besuch in Baku, das muss 1990 gewesen sein, war die aserbaidschanische Hauptstadt noch ein fast gemütliches Provinznest. Der Vater des jetzigen Präsidenten war noch Präsident, nachdem er den Job des KGB-Oberaufsichtsrats wegen Insolvenz der Sowjetunion hatte schmeißen müssen. Die Straßen waren spärlich beleuchtet. Der Park und die Promenade entlang dem Kaspischen Meer waren so verkommen, dass es einer sonst ganz annehmlichen Hauptstadt unwürdig war. Eines wurde mir allerdings schon damals klar: Baku ist eine Stadt mit einer europäisch-kaukasischen Tradition. Die Aseris haben sich schon immer nach Europa hingezogen gefühlt. Wenn jetzt, nachdem der unsägliche Contest vorbei und das Land ein wenig in das Rampenlicht der Welt eingetreten ist, auch noch ein ernsthafter Demokratisierungsprozess in Gang kommt, dann werden wir Aserbaidschan zur Familie des demokratischen Europas zählen können. Das wünschen sich die meisten Bürger des Landes. Es ist aber noch nicht so weit.